Die Lady in Weiß
des Schiffes in ein warmes rotes Licht getaucht. Caro saß auf einem zusammengerollten Tau, hatte die Füße auf den leeren Korb gestützt, in dem ihr Abendessen gewesen war. Ab morgen würden sie und Jeremiah dem Koch der Raleigh ausgeliefert sein, aber heute Abend hatten sie noch vom Besten essen dürfen, das Desirees Küche zu bieten hatte. Und das, so stellte Caro zufrieden fest, war wirklich ganz ausgezeichnet gewesen.
Die kleine Schaluppe hatte den ganzen Nachmittag gebraucht, um sich zwischen den Kriegsschiffen, die im Hafen lagen, hindurchzumanövrieren. Elegant hatte sie sich an den Fregatten vorbeibewegt, die turmhoch neben ihr aufragten, bis sie schließlich den Ärmelkanal erreichte. Es gab so viel Neues zu sehen, dass Caro jede einzelne Minute genießen konnte.
Aber zu ihrer Überraschung war es Jeremiah nicht so ergangen. Oh, er war bei ihr geblieben und hatte geduldig jede ihrer Fragen beantwortet, aber die Distanz zwischen ihnen hatte sich so weit vergrößert, dass sie kaum noch wusste, wie sie an ihn herankommen sollte. Er hatte wenig gegessen, dafür aber viel Wein getrunken, und als sie ihn dazu bringen wollte, etwas über sich zu erzählen, hatte er abgewehrt.
Sie beobachtete ihn, wie er an der Reling stand und der Wind sein dunkles Haar zerzauste. Sie fand, dass er sehr gut aussah, groß, stark und irgendwie ungezähmt. Aber seit sie hier auf See waren, ähnelte er immer weniger den englischen Gentlemen, die sie kannte. Er war hier ganz offensichtlich in seinem Element. Er bewegte sich auf dem schwankenden Deck so sicher wie sie sich in ihrem Salon, und er schien auf
jede Bewegung des Schiffes instinktiv zu reagieren.
Aber dennoch war Jeremiah nicht glücklich. Sie konnte es an seinem traurigen Gesicht erkennen, wenn er aufs Wasser hinaussah. Er zog sich zurück in den Kummer, der tief drinnen an ihm nagte und den der Anblick und der Geruch des Meeres wieder an die Oberfläche brachte. Vielleicht lag es daran, dass er hier nur als Passagier war und nicht als Kapitän. Er hatte ihr einmal erzählt, dass er sein erstes Kommando schon mit achtzehn gehabt habe, auf einem Schiff, das seiner Familie gehörte. Wie schwer musste es ihm fallen, hier zu sein und nichts anderes zu tun zu haben, als auf sie aufzupassen! Vielleicht tat es ihm gut, mit seinen Gedanken allein zu sein. Sie durfte nicht vergessen, dass ein Mann wie Jeremiah Sparhawk die Einsamkeit nicht so schmerzlich empfand wie sie.
Sie stand auf und hielt sich an der Reling fest. „Ich gehe nach unten“, sagte sie und schob sich den Korb über den Arm. „Ich lasse die Laterne für dich hier.“
Er drehte sich zu ihr um und sah sie finster an. „Und warum, zum Teufel, glaubst du, dass ich eine Laterne brauche?“ „Natürlich damit du siehst, wo du hinläufst.“ Und wenn er noch so traurig war, er durfte nicht in diesem Ton mit ihr sprechen. „Aber wenn du lieber über deine eigenen Füße stolpern möchtest, dann werde ich mich bemühen, jedes Licht zu löschen, ehe ich zu Bett gehe. “
„Es ist kein Bett, es ist eine Koje“, sagte er unfreundlich. „Dies ist nicht Blackstone House, weißt du.“
„Und du bist nicht mein Ehemann und hast daher kein Recht, mich ständig zu belehren. Gute Nacht.“
„Warte! “ Er packte ihren Arm, als sie an ihm Vorbeigehen wollte, und zog sie so dicht zu sich heran, dass er direkt in ihr Ohr sprechen konnte. „Ich bin dein Ehemann, jedenfalls für Captain Bertie und seine Leute. Mach diesen Fehler nicht noch einmal!“
Sie sah ihn an. „Warum sollen wir weiter so tun, als seien wir verheiratet, jetzt, da wir Portsmouth verlassen haben? Warum können wir uns nicht ganz normal benehmen?“ „Wenn Bertie erfährt, dass wir ihn belogen haben, und glaubt, dass wir sündige Dinge unter unserer Bettdecke tun, dann wird er uns bei der nächstbesten Gelegenheit an Land setzen. Und ich habe keine Lust, mich in irgendeinem verflixten Fischerdorf wiederzufinden.“ Er zog sie noch näher, so nahe, dass sein Haar ihre Stirn berührte. „Ich werde mich jetzt bücken und dir einen Kuss auf die Wange geben, für den Fall, dass uns hier jemand sieht. Und ich wäre dir dankbar, wenn du mir dafür nicht ins Gesicht schlagen würdest.“
Sie schloss die Augen, als seine Lippen ihre Wange berührten. Sein Kuss war so kühl, dass er genauso gut von Captain Bertie hätte stammen können. Vielleicht hatte Jeremiah die Kraft, ihr etwas zu sagen und sich dann in der Öffentlichkeit genau entgegengesetzt zu
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