Die Lady mit dem Bogen
nicht geblieben seid, um meine Geschichte zu Ende zu hören. Habt Ihr sie schon gekannt?«
»Nein.« Sie rührte sich nicht, um nicht die Wahrheit zu verraten. »Wenn Ihr mich entschuldigen wollt … ich muss zur Königin.«
»Im Moment ist sie gut bewacht, da sie Korrespondenz erledigt. Mangot würde nicht einmal Euch vorlassen. Er nimmt seine Aufgabe sehr ernst.«
»So wie ich auch.«
»Trotzdem seid Ihr aus der Halle verschwunden, während die Königin gebannt meinem lai lauschte.«
»Euer … was?«
»Eine Dichtung, die eine Geschichte erzählt. Spielleute am Hof der Königin wetteifern miteinander, wer die erstaunlichste Geschichte zu schaffen vermag.« Sein Lächeln wurde angespannt. »Ihr aber seid mitten in meinem lai verschwunden. Warum?«
Da sie ihm etwas sagen musste, entschied sie sich für die Wahrheit. »Ich ging, weil ich frische Luft brauchte. Es gibt viel zu überlegen, und in der abgestandenen Luft konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.«
»Heute waren die Gerüche schwer in der Halle, wiewohl die Fenster offen standen. Es wundert mich, dass die Luft nicht nach Eurem Geschmack war, da Ihr doch dichten Weihrauch in der Kapelle gewohnt seid.« Er stellte einen Fuß auf die steinerne Bank neben der Tür und stützte den Ellbogen auf sein Bein. »Oder gab es etwas oder jemand anderen? Ich sah, dass d’Ambroise Euch mit seinen Aufmerksamkeiten beehrte.«
»Eifersüchtig?« Sie bereute die Frage, kaum dass sie ihr entschlüpfte.
»Auf d’Ambroise?« Er lachte. »Hätte Euch seine Gesellschaft gefallen, wäret Ihr nicht gegangen, ehe er Gelegenheit hatte, seinen Charme spielen zu lassen.«
»Er scheint zu glauben, dass die Frauen ihm nicht gewogen sind.«
Als Saxon wieder auflachte, zeigten sich Fältchen um seine Augen. »Er neigt dazu, in Frauen große Leidenschaft zu entfachen, was ihm zuweilen nicht gut bekommt, da er der Meinung ist, ein Mann sollte sich nicht damit begnügen, eine Frau nur anzuhimmeln. Er glaubt an die erfüllte Liebe, nicht an die höfische, von der hier viele behaupten, sie sei ihr Ideal.«
»So wie Ihr auch?«
»Wie Ihr auch?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich fragte zuerst, also schuldet Ihr mir aus Höflichkeit eine Antwort, ehe ich Euch meine gebe.«
»Dann erweise ich Euch diese Höflichkeit, Mylady.« Er stellte seinen Fuß wieder auf den Boden, nahm ihre Hand und beugte sich mit dem Lächeln darüber, das sie auch an ihm gesehen hatte, als er seine Geschichte begann. »Es heißt«, sagte er, »dass es Regeln für die Liebe gibt, und eine lautet, dass ein Mann selten verliebt ist, der zu viel Leidenschaft zeigt. Er erstrebt nur etwas, das ihm verweigert wird.«
Sie entzog ihm ihre Hand. »Da pflichte ich Euch bei.«
»Ach?« Aufrichtiges Erstaunen wischte seine einstudierte Miene weg.
»Ja.« Sie gedachte nicht zu erklären, woher sie wusste, wie weit ein Mann gehen konnte, wenn er bekommen wollte, was er sich aus ganzem Herzen wünscht, nur um es – oder seine Frau und Tochter – wegzuwerfen und eine andere zu suchen. »Deshalb verstehe ich nicht, wie Ihr endlos von unwichtigen Dingen singen könnt.«
»Das Thema ist Liebe. Sicher werdet Ihr Liebe nicht als unwichtig bezeichnen.«
»Ich halte sie für notwendig, aber lästig, so wie jetzt Euch, da ich etwas erledigen muss.« Als sie an ihm vorüberwollte, hielt sie inne, da ihr einfiel, dass die Königin ihm so weit traute, dass sie ihn zu einem ihrer Beschützer gemacht hatte. Ihre eigene Unruhe in seiner Gegenwart durfte nun nicht dazu führen, dass die Königin gefährdet wurde. In der Hoffnung, sie würde nichts Falsches tun, sagte sie: »Kommt mit mir.«
»Wohin? Ich soll hier Godard treffen.«
»Das dauert doch nur wenige Minuten.«
»Was dauert nur wenige Minuten?«
»Stellt keine Fragen, wo andere meine Antworten hören könnten.«
Einen langen Augenblick sah er sie schweigend an, dann nickte er. Sie ging, um Bogen und Köcher zu holen. Als sie wiederkam, sagte er nichts. Das beunruhigte sie, da er sonst immer auf alles, was sie sagte, eine flinke Entgegnung parat hatte. Unwillkürlich fragte sie sich, was sein Schweigen zu bedeuten hatte. Hoffentlich nichts Unangenehmes.
kapitel 10
N och immer grollte im Westen Donner, doch das, was Mallory vorhatte, würde nicht lange dauern. Sie ging auf den leeren Hof, erfreut, dass das Unwetter alle anderen ins Innere gescheucht hatte. Die zwei Pfeile hatte sie aus ihrem Ärmel hervorgeholt und sie in den Köcher getan. Als sie die lange
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