Die Lady mit dem Bogen
reagiert wie in dem Moment, als sie den Pfeil auf den Ärmel des Königsboten abgeschossen hatte. Handelte sie weiterhin so unüberlegt, war sie für die Königin wertlos. Und doch gab es Momente, da musste sie so sein. Hätte sie gezögert und überlegt, als am Fluss die Pfeile abgeschossen wurden, hätte Königin Eleanor tot sein können.
»Ich versuche, mir über alle im Palast ein Bild zu verschaffen«, sagte sie, erleichtert, die Wahrheit sagen zu können.
»Ach, Narren allesamt.« Er setzte sich und räusperte sich angewidert. »Immerzu wollen sie nur von Liebe reden. Nicht über wirkliche Liebe, bewahre, sondern sie nennen es … hm …«
»Höfische Liebe.«
»Genau. Es ist unnatürlich, wenn Männer sich von Frauen sagen lassen, was Liebe sein sollte. Noch schlimmer ist es, wenn sie einander nur Geschichten erzählen – von Liebe aus der Ferne, die kein Erfüllung findet.«
Sie hob den Zweig, den sie bearbeitete und schätzte die Stärke ab. Noch immer zu dick. »Diese Geschichten sind an den Haaren herbeigezogen.«
»Das möchte man meinen, aber diese Narren glauben wirklich, eine solche Liebe sei besser, als eine Frau in den Armen zu halten.« Er spuckte aus. »Es ist, als lebte man in einem Palast mit Eunuchen zusammen. Kaum ein richtiger Mann darunter. Eigentlich müsste ich einer hübschen Dame wie Euch raten, inmitten so vieler junger Männer auf der Hut zu sein, doch sind hier die einzigen gefährdeten Körperteile die Ohren, die diese vielen Geschichten und Lieder und dummen Gedichte über sich ergehen lassen müssen.«
Mallory lachte. »Das sah ich, doch scheinen die Damen die Aufmerksamkeit zu genießen.«
»Warum auch nicht? Es kommt nicht oft vor, dass Frauen Männer beherrschen. Das ist nicht natürlich.« Wieder spuckte er aus, wie um einen Fluch abzuwehren. »Ich bin froh, dass sie sich von mir fernhalten.«
»Nicht alle.«
Er sah sie mit plötzlichem Argwohn an. »Was meint Ihr damit? Habt Ihr gesehen, wie sich jemand einschlich?«
»Nein, doch habt Ihr gesagt, dass Ihr Holz für Saxon auf die Seite getan habt.«
Meiser Ivon brummelte leise etwas vor sich hin. Sie hörte nur das Wort Laute heraus. Sie wartete, dass er noch etwas sagte, er aber schwieg, während sie arbeitete. Auch als sie aufstand, um zu gehen, sagte er nichts.
Sie hielt im Eingang inne. »Meister Ivon, Ihr sagtet, es gäbe viele Wege, wie zwei Schützen uns unbemerkt auflauern konnten. Wie war das gemeint?«
»Ich meinte damit, dass Ihr nicht annehmen dürft, die Anzahl der abgeschossenen Pfeile entspräche der Anzahl der Schützen.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass es nur einer war, und dass die Pfeile gleichzeitig abgeschossen wurden?«
»Ich wollte damit sagen, dass alles möglich ist.«
Mallory starrte ihn an, als er sich wieder an die Arbeit machte, dann trat sie vor und nahm die zwei Pfeile an sich, die sie ihm gebracht hatte. Er sah zu, wie sie am herunterhängenden Stoff ihres linken Ärmels zerrte und die Pfeile hineinsteckte wie Lady Elita, sagte aber nichts mehr. Sie ging hinaus in den Hof. Die Sonne schien nun schwächer, die Wolken am Himmel türmten sich hoch. Donner grollte den Fluss entlang, als sie den Haupttrakt betrat.
Konnte jemand zwei Pfeile gleichzeitig von einer Sehne abschießen? Eine einzelne Person konnte sich ungesehen zwischen den Bäumen am Ufer versteckt haben. Zwei wären eher aufgefallen. Eine Person, die zwei Pfeile zugleich abschoss? Die zwei Pfeile hatten sich auf einer engen und parallelen Bahn befunden, bis der geknickte die Richtung änderte. War es wirklich möglich? Sie und Saxon waren sich einig, dass es nicht möglich war, nun aber war sie ihrer Sache nicht mehr sicher. Es galt, die Wahrheit herauszufinden.
Als sie an der großen Halle vorübereilte, sah sie, dass die Hochtafel leer war. Die Königin musste sich in ihre Privatgemächer begeben haben. Sie stürmte zur nächsten Treppe und stieß gegen eine harte Gestalt.
»Verzeihung«, sagte sie und versteckte die Hände im Rücken, ehe die Pfeile bemerkt wurden. Saxons unbekümmertes Lächeln entlockte ihr ein Stirnrunzeln. Sie hatte nicht erwartet, ihn müßig in der Halle anzutreffen, nachdem sein Publikum sich zerstreut hatte.
»Ich fragte mich, wann ich auf Euch stoßen würde, Mallory, doch sieht es aus, als wäret Ihr auf mich gestoßen.« Er legte die Hand auf seine Brust, auch als er seine Stellung veränderte, um zu sehen, warum sie die Hände im Rücken verschränkte. »Mir brach das Herz, weil Ihr
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