Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
Priester schüttelte den Kopf. »Seit vielen Jahren nicht mehr. Ich hatte immer auf eine Chance gehofft, ihn vor meinem Tod ein letztes Mal zu sehen.«
»Um ihm die Wahrheit darüber zu sagen, was 1147 geschah?«, fragte sie kühn, da sie nichts zu verlieren hatte.
Er warf einen Blick zur Haustür und bedeutete ihnen dann, ihm in den Raum zur Rechten zu folgen, der kaum mehr war als ein Schrank mit Kamin. Vor dem Feuer stand eine Bank. Eine nicht angezündete Lampe hing von den Deckenbalken und schwang in der Hitze, die von den Flammen aufstieg. Er zog die Tür zu, die sich nicht ganz schließen ließ.
Baldwin öffnete sie wieder und trat hinaus. Seine entschlossene Miene verriet, dass er niemanden vorbeilassen würde, der sie stören konnte.
»Er ist ein Lovell«, sagte Vater James mit stolzem Lächeln. »In dieser Familie mangelt es niemandem an Mut, ebenso wenig an dem Gefühl, recht zu handeln, koste es, was es wolle.«
Avisa war versucht, den Priester zu fragen, ob er Guy in letzter Zeit gesehen hätte, doch sie wollte die Chance nicht vertun, die Wahrheit herauszufinden. »Ihr sprecht mit großem Vertrauen von dem Mut der Lovells. Was wisst Ihr, das andere nicht wissen?«
»Wie Ihr wisst, Mylady, kann ich nicht von Dingen sprechen, die mir im Beichtstuhl anvertraut wurden.« Er bot ihr mit einer Handbewegung Platz an.
Sie blieb stehen, da sie fürchtete, von Müdigkeit überwältigt zu werden, wenn sie sich setzte. »Das ist mir klar, aber könnt Ihr mir nicht wenigstens etwas sagen? Es ist ungeheuer wichtig. Christian setzt sein Leben unnötigerweise in dem Bemühen aufs Spiel, seinen Mut zu beweisen.«
»Zum Glück war ich damals Zeuge der Ereignisse und kann Euch daher vielleicht sagen, was Ihr wissen wollt.« Er faltete die Hände im Rücken.
»Das würdet Ihr tun?« Sie hätte ihr Glück nicht in Frage stellen sollen.
»Ja.« Er blickte mit sichtlichem Verlangen zur Bank.
Avisa setzte sich, da sie wusste, dass er es nicht tun würde, solange sie stand.
Kaum hatte er sich gesetzt, sagte der Priester: »Ihr seid sicher neugierig, warum ich Euch sagen werde, was ich weiß.«
»Ja.« Mehr sagte sie nicht, da jedes Wort dasjenige sein konnte, das ihn veranlasste, seine Absicht, ihr die Wahrheit zu enthüllen, zu ändern.
»Ich habe viele Kämpfe erlebt, jene zwischen König und Erzbischof waren für mich jedoch die schlimmsten. Heute hörte ich, dass der König Ritter ausschickte, die den Erzbischof töten sollen.«
»Nein!« Unvorstellbar, dass der König eine so ruchlose Tat befahl.
»Es ist ein Gerücht, das man sich hinter geschlossenen Türen in der ganzen Stadt zuraunt. Ich möchte nicht, dass ein Lovell in den Sog der Ereignisse gerät, wenn die Kathedrale gestürmt wird.«
»Um seinen Mut unter Beweis zu stellen?«, fragte sie erstickt.
»Das ist nicht nötig.« Er neigte sich zu ihr und senkte die Stimme. »An jenen Tag im Jahre 1147 erinnere ich mich deutlicher als an jeden anderen Tag vor- oder nachher. Henry sah sich einer vernichtenden Niederlage gegenüber. Falls nicht jemand das Steuer im Kampf gegen Stephen herumriss, müsste er den Thronanspruch Stephens und seiner Erben anerkennen. Das war der Moment, als Lord Lovell den ungewöhnlichen Entschluss fasste, sich an König Stephen zu wenden.«
»Und deshalb verließ er den König?«
»Ja. Ich begleitete ihn zu der Unterredung mit Stephen, von der kein Mensch wusste. Damals erwirkte Lord Lovell, dass Henry und seine Mannen England unter der Bedingung verlassen durften, fünf Jahre lang nicht zurückzukehren. Lord Lovell konnte Stephen sogar überreden, für die Kosten von Henrys Rückkehr auf den Kontinent aufzukommen. Zu Lasten seines eigenen Namens rettete Lovell den König.«
»Warum habt Ihr das Geheimnis gewahrt?«, flüsterte Avisa.
»Lord Lovell wollte den König nicht demütigen. Ein entehrter Baron war das kleinere Übel als ein entehrter König.«
»Und das soll so bleiben«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Avisa stand auf, als Baldwin den Kopf neigte und die Tür hinter einem Mann schloss, der Lord Lovell sein musste. Er hatte ähnlich dunkles Haar wie seine Söhne, und sie konnte sich gut vorstellen, dass Christian in zwanzig Jahren so aussehen würde wie er.
»Vater James«, sagte er in dem knappen, angespannten Ton, den auch Christian anschlug, wenn er wütend war. »Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr die Geschichte jemals erzählen würdet.«
Der Priester stand auf und stützte die Finger gegeneinander.
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