Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
gehört habt, das unsere Reise behindern könnte.« Seine breiten Schultern drängten sich zwischen sie und den Tisch.
»Becket wurde bei seiner Rückkehr in Canterbury angeblich ein begeisterter Empfang bereitet«, antwortete Lord de l’Isle mit plötzlich verdüsterter Miene. »Ein Gefolgsmann des Königs tut gut daran, die Stadt zu meiden.«
»Wir wollen nicht nach Canterbury. Wir reiten westwärts. Dort muss ich etwas erledigen.«
»Etwas, das Euch und die schöne Avisa betrifft?« Der Gastgeber lächelte wieder, als er sie anschaute.
»Berichtet, was in Canterbury zu hören ist«, forderte Christian.
Ihr Gastgeber nickte jetzt wieder ernst. Sie lauschte, als Lord de l’Isle die Meldung eines Boten wiederholte, der die Nachricht auf schnellstem Weg von Canterbury gebracht hatte. Der Erzbischof hatte seinen Sitz in der Kathedrale offenbar wieder eingenommen.
»Alle Glocken wurden geläutet«, sagte der Lord, der sich in Zorn hineinsteigerte. »Sogar die Orgel ertönte, um Becket gebührend zu empfangen.«
»Das war zu erwarten«, sagte Avisa.
Christian drehte den Kopf und sah sie ungehalten an.
Sie beachtete ihn nicht. »In der Priorei beten die geistlichen Brüder des Erzbischofs seit Jahren um seine sichere Rückkehr.«
»Nicht der Prior.« Lord de l’Isle sah sie an, dann sah er an ihr vorbei, als wäre sie nicht mehr vorhanden.
»Prior Odo«, antwortete Avisa, die es nicht hinnehmen wollte, einfach übergangen zu werden, »muss in seinem Amt vom Erzbischof bestätigt werden. Er sollte froh sein, dass Thomas Becket jetzt dazu imstande ist.«
»England wird sich womöglich bald zwischen Erzbischof und König entscheiden müssen«, sagte der Baron, als hätte sie nichts gesagt.
»Das ist töricht. Niemand …« Sie stieß einen leisen Schrei aus, mehr aus Überraschung als vor Schmerz, als Christian sie mit dem Ellbogen wegstieß und zurückdrängte, um sich wieder zu ihrem Gastgeber zu neigen.
Lehnte Avisa sich jetzt noch weiter zurück, würde sie von der Bank fallen. Was immer Christian erbitterte – und es stand zu vermuten, dass es mehr war als die Neuigkeit aus Canterbury -, es war etwas, das er bewältigen musste; sie würde nicht zu zulassen, dass er sie schmählich auf ihrem Hinterteil landen ließ. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter, wobei sie darauf achtete, dass ihr langer Ärmel ihren Arm verbarg, und versetzte ihm einen Stoß. Ebenso gut hätte sie versuchen können, die Burgmauern zu bewegen.
»Mylady, ist Euch nicht wohl?«
»In der Tat.« Sie sah Christian wütend an.
»Geduld, Avisa«, mahnte Christian. »Gibt es eine Brücke über den nächsten Fluss, den wir überqueren müssen?«
»Es gab einmal eine«, erwiderte de l’Isle.
»Was ist passiert?«
Als der Hausherr sich weitschweifig über die Geschichte der angeblich vor mehr als einem Jahrtausend von den Römern errichteten Brücke auslassen wollte, rückte Christian noch näher an ihn heran. Avisa kämpfte darum, nicht von ihrem Sitz zu fallen, verlor aber mit jeder kleinen Bewegung Christians an Raum. Wütend klammerte sie sich an die Bank.
Christian legte es darauf an, sie zu demütigen. Als er mit seinem Ellbogen ein Messer vom Tisch stieß, duckte sie sich unter seinen Arm und verschwand unter dem Tisch, froh um den Vorwand, der es ihr gestattete, dem Spiel ein Ende zu machen.
Sie griff nach dem Messer, hielt aber inne, als Lord de l’Isle sagte: »Ich wünschte, meine Frau wäre so gefällig, Lovell, meine Hochachtung.«
Als sie Christian beifällig lachen hörte, war Avisa versucht, die Klinge des Messers in einen seiner Stiefel zu stoßen. Stattdessen schob sie den Dolch weiter, vom Podium hinunter auf den niedriger gelegenen Boden, und folgte ihm.
Im Raum herrschte Stille, da alle sie anstarrten. Fast vermeinte sie zu hören, was sie dachten. Damen tragen kein Schwert. Damen kriechen nicht unter dem Tisch hervor . Zur Hölle mit ihnen! Sie war eine Dame von St. Jude’s Abbey und den für andere Frauen geltenden Beschränkungen nicht unterworfen. Wenn es ihnen – wenn es Christian – missfiel, war es sein Pech.
Nein, ihres. In ihrem Kopf ertönte die Stimme der Äbtissin, die sie ermahnte, nicht ungebührlich Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. So schwer es ihr fiel, Christian zu belügen, so war es ungleich schwieriger, die schwachköpfige Frau zu spielen, die über jeden Augenblick ihres Lebens einem Mann Rechenschaft ablegen musste.
»Lady Avisa?«, rief Lord de l’Isle. »Ist Euch auch
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