Die Lady mit der Feder - Roman
Jordans Ton verriet Bewunderung, wiewohl ihn Isabellas praktische und logische Denkweise längst nicht mehr überraschte.
»Natürlich ist es möglich. Warum queren wir den Bach nicht hier?«
»Seid nicht töricht, Mylady. Die Pferde könnten ausgleiten und uns abwerfen.« Als Lord Weirton ihr den Rücken kehrte, wurde Isabella wütend.
Jordan legte seine Hand auf ihren Arm, ehe sie den Zorn in ihrem Blick äußern konnte. Warum war sie, die doch immer rational vorging, jetzt irrational?
Ihre Finger bedeckten seine, und das vertraute unerfüllte Sehnen nagelte ihn fest. Er beugte sich zu ihr, hielt jedoch inne, als sie seine Hand von ihrem Arm hob. Sie schaute ihn nicht an, und er wusste, dass er dankbar hätte sein sollen. Wenn er wie am Morgen das Verlangen in ihren Augen sah, war zu bezweifeln, ob er dem Drang widerstehen konnte, sie
in die Arme zu nehmen. Isabella, die vom Pferd glitt, zog die Peitsche aus dem Gürtel. Sie ließ sie auf den Boden fallen, um die geflochtenen Lederstränge zu entwirren.
»Was macht Ihr da?«, fragte er.
»Ich überquere den Fluss.« Sie hob die Peitsche mit einer einzigen flinken Bewegung. Das Leder schoss durch die Luft, bis das Ende sich um einen Ast schlang. Sie zog fest daran. Verblüfft sah er zu, wie sie sich über den Wasserlauf schwang und auf dem Ufer gegenüber landete. Sie machte den Peitschenstrang nicht los und warf ihm den Griff über das Wasser zu.
Jordan fing ihn lächelnd auf. Nahmen die Überraschungen, die Isabella für sie hatte, denn kein Ende?
»Warum versucht Ihr es nicht, Lady Odette?«, rief Isabella.
»Ich?« Lady Odette schauderte zusammen. »Das könnt Ihr von mir nicht erwarten. Keine richtige Lady würde das tun.«
Er hoffte, Isabella hatte die beleidigenden Worte der Dame nicht hören können, denn beleidigend waren sie. Isabella besaß zwar nicht das damenhafte Benehmen, das Lady Odette perfektioniert hatte, doch war sie viel interessanter. Sie war neugierig auf die Welt und der Königin treu ergeben. Und ihre Bewegungen entzündeten eine Flamme, die nur gelöscht werden könnte, wenn er sie so lange liebte, bis sein Begehren von neuem erwachte.
Isabella rief vom anderen Ufer her: »Überlegt es Euch, Lady Odette. Es macht Spaß.«
Die Lady errötete.
»Wir wollen den Fluss auf eine dir gemäße Weise überqueren«,
entgegnete ihr Bruder und legte ihr den Arm um die Schultern.
Jordan blickte von Isabellas geschockter Miene zu den Weirtons. Als Emery neben ihn trat, übergab er dem Jungen den Peitschengriff. Emery segelte mit einem Freudenschrei über den Bach und warf die Peitsche wieder Jordan zu.
Der Hufschlag der Pferde der Weirtons wurde immer schwächer. Es würde über zwei Stunden dauern, bis sie die Furt erreicht hatten und wieder zu der Stelle gelangten, wo Isabella stand. Die vielen Gelübde, die er abgelegt hatte, entlockten ihm eine Verwünschung. Er hatte keine andere Wahl, denn das eine Versprechen - dafür zu sorgen, dass der Schwester seines Freundes nichts zustieß - hatte Vorrang vor allen anderen, sogar vor jenem, das er der Dame der Königin gegeben hatte.
Er griff nach den Zügeln des Schimmelhengstes und jenen von Emerys Pferd. »Emery«, rief er über das tosende Wasser hinweg, »sorge für Lady Isabellas Sicherheit, bis wir euch erreichen.«
Isabella machte große Augen. »Ihr quert den Bach nicht hier?«
»Ich gelobte, Lady Odette zu beschützen.« Er warf ihr die Peitsche zu.
Wut und Kränkung blitzten aus ihren ausdrucksvollen Augen. »So wie Ihr gelobt habt, mir bei der Erfüllung meines Gelöbnisses beizustehen.«
»Das werde ich tun, da wir unseren Weg nach Lincoln fortsetzen, sobald wir Euch eingeholt haben. Das dürfte nachmittags der Fall sein.«
Er gab ihr nicht die Chance einer Antwort. Seinem Pferd
mit der Hand auf die Flanke schlagend, führte er die zwei anderen Pferde mit sich, den Weirtons nach. Er wusste, dass der Umweg viel mehr Zeit beanspruchen und viel komplizierter sein würde, als er es sich je vorgestellt hatte.
14
U nter den Bäumen hielten sich in der Frühlingsdämmerung Kühle und Feuchtigkeit. Nach dem Ritt über offene Fluren hoffte Jordan, sie würden den Wald in seiner gesamten Länge ohne Begegnung mit den Strauchdieben hinter sich bringen, die im Dickicht und auf den Lichtungen ihr Unwesen treiben sollten. Er war zuversichtlich, er und Weirton - und nicht zuletzt Isabella - würden Lady Odette im Ernstfall schützen können. Sogar Emery war ein brauchbarer
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