Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
Sie, Bea, sind eine schöne Frau.«
Charlotte stieß die Luft aus, die sie angehalten hatte. Sie konnte sich Beas Reaktion lebhaft vorstellen, das Erröten des Entzückens, das ihre Wangen dunkler färbte.
»Ich glaube, mein Onkel hat Ihre Schwester sehr gern«, fuhr Mr Bentley fort, »auch wenn es natürlich etwas ermüdend für einen Mann seines Alters sein muss, sich ständig der Vernarrtheit eines jungen Mädchens zu erwehren.«
Charlotte zuckte unter dieser Demütigung zusammen und zog sich rasch den zweiten Schuh an, noch ohne den ersten richtig zugeknöpft zu haben.
»Hat er das gesagt?« Bea klang so entsetzt, wie Charlotte sich fühlte.
»Nein, um Himmels willen, nein! Ich lese sozusagen nur zwischen den Zeilen. Beunruhigen Sie sich nicht, schöne Bea. Mein Onkel hat Sie alle aufrichtig gern.«
Charlotte wartete nicht weiter. Sie wollte nichts mehr hören. Sie verließ hastig das Pfarrhaus und schlug den Pfad zum Friedhof ein. Ben Higgins, ein fünfzehnjähriger Junge, der seinem Vater beim Ausheben der Gräber und bei der Instandhaltung der Kirche half, wartete schon auf sie. Er hatte den Strauch, dessen Wurzeln in einen Ballen Erde eingebunden waren, bereits zum Grab ihrer Mutter gebracht. Charlotte nahm eine Schaufel und stieß sie mit sehr viel mehr Kraft in den Boden, als nötig gewesen wäre.
Einige Minuten später kam William Bentley über den Friedhof geschlendert. »Hat Ihr Arbeiter Sie im Stich gelassen, Miss Lamb?«, rief er.
Charlotte blickte von dem Loch auf, das sie grub. Sie hielt inne, stützte sich mit einer Hand auf die Schaufel und wischte sich mit der anderen eine Haarsträhne aus dem Gesicht, ohne zu merken, dass ihr erdverkrusteter Handschuh einen dunklen Streifen auf ihrer Stirn hinterließ. Sie wusste daher nicht, warum Mr Bentley ein Lächeln unterdrückte, als er näher trat.
»Ich habe ihn zum Gärtner geschickt, er soll ein bisschen Dünger holen. Er muss aber gleich zurück sein.«
»Dünger? Wie passend. Aber Sie könnten doch warten und ihn die Arbeit tun lassen.«
»Ich habe nichts gegen ein bisschen Arbeit. Sie vielleicht?«
»Ich gebe zu, dass das Ausheben von Löchern nicht unbedingt zu meinen Leidenschaften zählt.«
Sie lächelte. »Ich kann nicht sagen, dass mich das überrascht.«
»Wirklich?«
Angesichts seines gespielten Unmuts wurde ihr Lächeln breiter.
Seine Augen tanzten vor Vergnügen. »Sie haben wirklich ein ganz bezauberndes Lächeln, Miss Lamb.«
»Danke.«
Er nickte zu dem Schössling neben dem Loch hinüber. »Was ist das für ein Strauch?«
»Ein französischer Flieder. Syringa vulgaris .«
»Für mich sieht er aus wie ein Stock.«
»Das glaube ich gern. Aber in ein oder zwei Jahren wird er die herrlichsten Fliederblüten tragen.«
»Ihre Mutter. Sie ist verstorben …?«
»Vor zwei Jahren.« Ihr Lächeln erlosch.
»Verzeihen Sie meine Neugier. Es tut mir sehr leid.«
»Schon gut.« Sie seufzte. »Der Gedanke kam mir im Frühjahr. Ich war wie immer um diese Zeit mit meiner Tante auf Reisen. Unsere Kutsche kam an einer Fliederhecke vorbei, die in voller Blüte stand, und mir fiel ein, wie sehr Mutter den Duft geliebt hat. Doch diese Sorte ist nicht so verbreitet wie der gewöhnliche englische Flieder. Ich habe ihn aus Limoges kommen lassen.«
»Eine Geste, die von großer Verbundenheit zeugt.«
Charlotte zuckte die Achseln. »Ich habe sie sehr geliebt.«
Sie nahm ihre Arbeit wieder auf. Ihre Schaufel stieß gegen etwas Hartes und sie bückte sich, um einen großen Stein beiseite zu räumen. Dabei hatte sie den beunruhigenden Eindruck, dass William Bentley den Blick wohlgefällig auf ihrem Mieder ruhen ließ.
»Mr Harris spricht mit großer Hochachtung von Ihnen, Miss Lamb. Das tut er zwar auch von Ihrem Vater, aber es ist meine ehrliche Überzeugung, dass mein Onkel Sie am meisten von Ihrer Familie schätzt.«
»Ich bin sicher, Sie irren sich«, antwortete Charlotte und richtete sich auf. »Mr Harris ist seit Langem ein Freund unserer Familie, von uns allen. Auch Mutter mochte ihn sehr.«
»Sie stehen ihm, glaube ich, ebenfalls nicht gleichgültig gegenüber.«
In der Erinnerung an das, was Mr Bentley zu Bea gesagt hatte, konnte Charlotte ihre Verlegenheit nicht verbergen. »Natürlich nicht. Mr Harris ist immer sehr freundlich gewesen, der beste aller Nachbarn, fast wie ein Sohn für unseren Vater.«
»Ein Sohn? Das glaube ich weniger. Damit wären Sie ja Bruder und Schwester, und ich glaube, das würde keinem von Ihnen
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