Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
auf. Wenn er sich je über ihre Anteilnahme und die vielen Freundlichkeiten, die sie ihm erwiesen, wunderte, sagte er es jedenfalls nicht.
Sein wahres Verhältnis zu Charlotte erfuhr er nie. Für Charlotte war es eine bittersüße Erfahrung, dass ihr Sohn sie »Mrs Taylor« nannte, doch sie hatte sich damit abgefunden, dass sie für den Rest ihres Lebens mit diesem Schmerz leben musste.
Ihr inniges Verhältnis zu Anne linderte diesen Schmerz sehr. Daniels Tochter wusste von Lizette, hatte jedoch erst kürzlich zu Charlotte gesagt, dass sie sie immer als ihre Mutter betrachtet habe, schon bevor sie und ihr Vater geheiratet hatten. Auf Daniels Aufforderung hin sagte sie schon lange nicht mehr »Missy« zu Charlotte, sondern hatte angefangen, sie »Mutter« zu nennen. Charlotte genoss diese Anrede jedes Mal wieder neu und dachte: Was für ein schönes Wort .
Epilog
Als Edmund Harris mich in meiner Praxis aufsuchte und um die Hand meiner Tochter Anne bat, fiel ich aus allen Wolken. Der arme Junge interpretierte meinen Gesichtsausdruck wohl zunächst als Ablehnung und bot ein wahres Bild des Jammers. Einen kurzen Augenblick lang erkannte ich in seinem Gesicht Charles Harris wieder und dachte daran, ihn in einer Art später Rache für die Hindernisse, die sein Vater mir und Charlotte in den Weg gelegt hatte, zu enttäuschen. Doch dann schob sich der Gedanke an Charlotte und Anne in den Vordergrund und ich gab ihm mit Freuden meinen Segen.
Ich folge Edmund, der sich auf die Suche nach Charlotte gemacht hat, um ihr die Nachricht selbst zu überbringen, doch ich halte mich dabei im Hintergrund. Ich möchte Zeuge dieses Augenblicks werden, aber ich will mich nicht in ihre Wiedervereinigung hineindrängen.
Sie stehen im Garten, tief ins Gespräch versunken. Ich gehe etwas näher heran und höre, wie Edmund zu Charlotte sagt:
»Darf ich Sie von jetzt an Mutter nennen?«
Sie blickt ihn an, dann blüht ein strahlendes Lächeln in ihrem Gesicht auf. »Nichts würde ich lieber hören.«
Anne kommt aus dem Haus und ich zwinkere ein paar unerwartete Tränen fort, wieder einmal fassungslos darüber, zu welch einer wunderschönen jungen Frau unsere Tochter herangewachsen ist. Hochgewachsen und anmutig geht sie zu Charlotte und Edmund in den Garten. Sie nimmt Edmunds Arm, den anderen bietet er Charlotte an.
»Hat er dir die Neuigkeit gesagt, Mutter?«, fragt Anne.
Charlotte nickt lächelnd. Sie schiebt ihren Arm durch Edmunds und legt ihm zusätzlich ihre freie Hand auf den Arm, als wollte sie ihrer zwar geheilten, aber doch mit Narben bedeckten Seele das Labsal so viel körperlicher Berührung wie möglich gewähren.
Lucy, unsere Jüngste, taucht hinter mir auf und schiebt ihre Hand in meine. »Warum weint Mami?«, fragt sie.
»Das sind Glückstränen.«
»Ist sie glücklich?«
»Ja, sie wird bald Mutter einer Braut sein.« Und bei mir selbst füge ich hinzu, und eines Bräutigams …
So sind wir schließlich doch noch mit den Harris' verwandt. Es ist nicht die Verwandtschaft, mit der wir vor vielen Jahren gerechnet hatten, aber doch eine, die Gott vorausgesehen, ja vielleicht sogar geplant hat.
Charlotte Taylor ist meine Frau, meine liebste und beste Gefährtin. Und während ich halb verborgen hinter ihr in dem Garten stehe, den sie mit mir zusammen zu prachtvoller Blüte gebracht hat, sehe ich, wie ihre Augen von ihrer Tochter zu ihrem Sohn und von ihrem Sohn wieder zu ihrer Tochter wandern. Ich sehe, wie die Freude sie verändert, wie ihr Geist sich in Höhen emporschwingt, die einst unvorstellbar für sie waren. Ich sehe, wie sie ihr Gesicht zum Himmel hebt, und weiß, dass sie Gott dankt. Von der Stelle aus, an der ich stehe, stimme ich in ihr Gebet ein, dankbar, dass Gott allen Schmerz und alle Opfer der Vergangenheit in etwas so Schönes verwandelt hat. Ich verlasse meinen Posten und trete hinaus ins Sonnenlicht, dankbar, dass ich hier mit Charlotte sein darf und Zeuge werde, wie sie endlich ihre Schwingen ausbreitet.
Nachwort der Autorin
Als ich mit den Recherchen zu Die Lady von Milkweed Manor begann, war ich noch nie in England gewesen. Aufgrund von Internetrecherchen und alten Landkarten wählte ich Doddington als Geburtsort der Hauptfigur meines Romans. Mir hatte gefallen, was ich über den Ort gelesen hatte und wie relativ unverändert er (verglichen etwa mit London oder Crawley) nach so langer Zeit noch immer wirkte. Das alte Pfarrhaus war inzwischen allerdings in Privatbesitz übergegangen. Wenn ich
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