Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
schwebte davon.
Charlotte wandelte durch den Garten, atmete tief die frische Luft ein und versuchte, die Bilder zu verscheuchen, die sie auf der Syphilisstation gesehen hatte. Sie griff in die Tasche ihres Kleides und tastete nach dem Brief ihrer Tante, den sie zum Trost immer bei sich trug. Er war wie ein Rettungsanker für sie. Sie wusste sehr wohl, auf wen ihre Tante mit ihrem verschleierten Hinweis auf den ›Gentleman‹ ihrer Schwester Bea angespielt hatte.
Charlotte erinnerte sich noch gut daran, wie sie William Bentley zum ersten Mal begegnet war. Es war das erste von vielen weiteren Malen gewesen. Sie hatte ihn schon davor, als Kind, häufig gesehen, dann jedoch eine Zeit lang aus den Augen verloren, bis er vor drei oder vier Jahren unverhofft in ihrem Wohnzimmer gestanden hatte.
»Mr William Bentley«, hatte Tibbets verkündet und sich dann sogleich wieder zurückgezogen und die Tür hinter sich geschlossen.
Der junge Mann, der vor ihnen stand, war schlank und kaum größer als das Mädchen, das ihn eingelassen hatte. Er musste inzwischen achtzehn Jahre alt sein, hatte Charlotte damals gedacht, ein Jahr älter, als sie zu der Zeit war, doch sein Selbstbewusstsein war das eines sehr viel älteren Mannes.
»Wie geht es Ihnen?«, hatte er gefragt, den Hut noch in der Hand. Tibbets hatte vergessen, ihn ihm abzunehmen.
Charlotte blickte zu Bea hinüber und sah an ihren nachdenklich gerunzelten Brauen, dass sie keine Ahnung hatte, wer der junge Mann war. Das Gesicht ihres Vaters, der den Gast hätte begrüßen und vorstellen müssen, zeigte genau den gleichen grübelnden Ausdruck wie das seiner Tochter, was schon fast komisch gewirkt hätte, wäre die Situation nicht so peinlich gewesen.
»Bentley … Bentley …«, begann er in dem Versuch, sich an den vage vertraut klingenden Namen zu erinnern.
»Du erinnerst dich doch, Vater«, kam Charlotte ihm zu Hilfe, »Mr Bentley ist ein Neffe von Mr Harris.«
»Ach wirklich? Oh ja, ich glaube, ich habe etwas von einem Neffen gehört. Moment mal, Harris hat einen älteren Bruder …«
»Eine Schwester, Vater. Mrs Eliza Bentley aus Oxford.«
»Ganz richtig, vielen Dank.« Der junge Mann lächelte Charlotte an. »Sie scheinen die Familie recht gut zu kennen, Miss …«
»Charlotte Lamb.«
»Natürlich.« Er nickte, die Augen geweitet mit einem wissenden Ausdruck, der Charlotte Unbehagen verursachte.
In diesem Augenblick stand ihr Vater auf und warf ihr einen missbilligenden Blick zu. »Ich bin Reverend Gareth Lamb, Pfarrer der Pfarrkirche von Doddington, geweiht der Enthauptung Johannes' des Täufers.«
Mr Bentleys Augenbrauen hoben sich. »Wie ungewöhnlich.« Ein leichtes Lächeln kräuselte seine Mundwinkel, doch ihr Vater schien es nicht zu bemerken.
»Ja, in der Tat. Es ist eine der seltensten Zueignungen in England. Man findet sie sonst nur noch ein einziges Mal, bei der Kirche von Trimmingham in Norfolk.«
»Ahhh …« Mr Bentley äußerte den universalen Laut des geziemend Beeindruckten. Da das Gesicht des Pfarrers seinen ernsthaften Ausdruck beibehielt, fuhr Mr Bentley fort: »Ich bin überaus erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Mein Onkel spricht mit großer Hochachtung von Ihnen, Sir.«
»So wie ich von ihm. Darf ich Ihnen meine ältere Tochter, Miss Lamb, vorstellen?«
Beatrice neigte kaum merklich den Kopf.
»Charlotte hat sich ja bereits selbst bekannt gemacht«, fügte Reverend Lamb hinzu und setzte sich wieder. Er warf Charlotte ein säuerliches Lächeln zu, sah sie aber nicht wirklich an. »Setzen Sie sich doch, Mr Bentley.«
»Danke.«
»Aus Oxford, Sir?«, fragte ihr Vater. »Universität oder Umgebung?«
»Beides, seit Kurzem.«
»Dann müssen Sie meinen Freund, Lord Elton, kennen. Er ist so etwas wie der Schirmherr von Pembroke.«
Charlotte krümmte sich innerlich angesichts dieser Prahlerei ihres Vaters. Lord Elton war Onkel Tilneys Freund, nicht seiner.
»Wer hat nicht von ihm gehört? Auch sein Sohn ist bekannt. Ich hatte allerdings noch nicht das Vergnügen, einen der beiden kennenzulernen, fürchte ich. Meine Studien füllen meine Zeit restlos aus.«
»Ausgezeichnet. Und worauf werden Sie sich verlegen?«
Bentley zögerte und warf zuerst Charlotte, dann Beatrice einen schwer zu deutenden Blick zu. »Ich habe mich noch nicht entschlossen, Sir.«
»Ein kirchlicher Beruf ist ein äußerst erstrebenswertes Ziel, Sir, wenn Dienen und Demut mehr für Sie sind als bloße Worte.«
William Bentley lächelte erneut, diesmal
Weitere Kostenlose Bücher