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Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Titel: Die Lady von Milkweed Manor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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stellte sich vorsichtig in Grätschstellung über dem Säugling auf. Charlotte zog scharf die Luft ein. Sally trat vor und half dem wartenden Säugling, die Zitze der Ziege zu finden. Das hungrige Baby schloss das Mündchen um die Zitze und begann zu saugen. Charlotte war fassungslos, schockiert und zugleich fasziniert. Sie trat ebenfalls vor, wenn auch etwas zögerlich, stellte sich hinter Sally und spähte über deren gebeugten Rücken.
    »Warum um alles in der Welt …?«, fing sie an.
    »Keine will diese armen Dinger stillen, weil dadurch die Syphilis übertragen wird. Sie versuchen, die Babys von Hand zu füttern, aber das ist nicht natürlich. Natürlich ist das, was wir hier machen, zwar auch nicht, aber es scheint doch etwas besser zu funktionieren.«
    Mrs Krebs, die einem anderen Kind half, an der schwarzen Ziege zu trinken, sagte aus einigen Schritten Entfernung: »Ich war genauso bestürzt wie Sie, Miss Smith, als Dr. Taylor uns diesen Vorschlag zum ersten Mal machte. Ich dachte, er hätte den Verstand verloren. Aber er meinte, in Frankreich sei es durchaus üblich und es sei auch für uns einen Versuch wert.«
    Dr. Taylor trat herzu und blieb neben Charlotte stehen. »Man gewinnt den Eindruck, als würden die Ziegen die Babys, die sie säugen sollen, kennen und herausfinden. Die Weiße ist immer bei diesen hier und die Schwarze bei den anderen. Sie finden die, die sie säugen sollen, immer, auch wenn wir sie in ein anderes Bettchen legen.«
    »Erstaunlich.«
    »Ja, nicht wahr? Aber es ist trotzdem schlimm. Die meisten der Kinder hier werden den nächsten Monat nicht erleben.«
    »Wirklich?« Charlotte trat unwillkürlich einen Schritt rückwärts, bevor ihr bewusst wurde, was sie da tat.
    »Es ist ein trauriges Geschäft. Aber wir versuchen es wenigstens.«
    Charlottes beglückende Visionen von gesunden, rosigen Babys, denen sie Schlaflieder sang, schienen auf einmal abgeschmackt und töricht. Sie hatte das Gefühl, krank zu sein.
    »Kann man denn gar nichts mehr für sie tun?«, fragte sie.
    »Nun, beten kann man immer. Und Gott für die Ziegen danken.«

6
    Der (Seidenblumen-)Samen, von dem nur bestimmte Teile verwendet werden,
ist ein Gegengift sowohl gegen die schädlichen Wirkungen giftiger Kräuter
als auch gegen die Bisse und Stiche giftiger Tiere.
    Nicholas Culpepper, Naturheilkundler aus dem 17. Jahrhundert
    Ein paar Stunden später stand Daniel Taylor in der Eingangshalle des Hauses und beaufsichtigte den Strom von Freiwilligen, die Kisten und Pakete mit Spenden hereintrugen. Als er aufblickte, sah er Charlotte auf sich zukommen. Sie war offenbar in der Findelkind-Station gewesen. Hastig trat er ihr in den Weg und versuchte, sie vor den Blicken der Leute abzuschirmen.
    »Miss Smith«, sagte er leise, »dürfte ich Ihnen vorschlagen, dass sie einen kleinen Ausflug in den Hintergarten unternehmen? Hier schwirren ganze Horden von freiwilligen Helferinnen herum, fast alles Damen der besseren Gesellschaft, die in Wohltätigkeit machen, und ich hörte, dass einige von ihnen aus Kent, aus Ihrer Gegend kommen.«
    Charlottes Augen weiteten sich, als sie an ihm vorbei in die Halle schaute, aber sie blieb ruhig.
    »Ich werde Ihren Rat befolgen, danke.«
    Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging mit raschen Schritten den gleichen Weg zurück, den sie gekommen war. Aber leider war sie nicht rasch genug.
    Daniel wandte sich um und wäre fast mit einer Dame in lila Samt und Federhut zusammengestoßen.
    »Die Frau, mit der Sie da gerade gesprochen haben – das war doch Charlotte Lamb, nicht?« Sie verdrehte den Hals, um an ihm vorbeizuspähen.
    »Lamb? Ich glaube nicht, dass wir jemanden dieses Namens hier haben.«
    »Doch, doch, das war Charlotte. Da bin ich ganz sicher.«
    Er zuckte die Achseln. »Heute sind so viele Menschen hier. Ihre Gruppe, unsere Leute und die anderen Helfer …«
    »Aber Sie haben doch gerade mit ihr gesprochen.«
    »Ich? Ich glaube, die letzte Dame, mit der ich gesprochen habe, war eine freiwillige Helferin, die Decken gebracht hat. Gehört sie denn nicht zu Ihnen?«
    »Nein.«
    »Nun, wir sind jedenfalls froh, so zahlreiche Unterstützerinnen zu haben. Ich habe mittlerweile schon ganz den Überblick verloren.«
    Sie wollte etwas entgegnen, das Gesicht noch immer höchst skeptisch. Doch statt ihn weiter auszufragen, verzog sie den Mund plötzlich zu einem katzenhaften Lächeln. »Ich weiß, was ich gesehen habe. Oder vielmehr, wen ich gesehen habe.« Damit drehte sie sich um und

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