Die Lagune Der Flamingos
deutschen Hilfsverein, doch Annelie hatte ihrer Tochter das Versprechen abgenommen, sich von den anderen Deutschen fernzuhalten.
»Es ist zu gefährlich, Mina«, hatte sie ein ums andere Mal wiederholt. »Es ist zu gefährlich.«
Mina hatte sich daran gehalten, aber noch lange dem großen Schiff im Hafen nachgeträumt.
Dummerweise schuldeten sie dem Kapitän, der sie das letzte Stück bis nach Rosario mitgenommen hatte, noch eine beträchtliche Menge Geld. Der hatte sogar gedroht, sie der Polizei zu übergeben, denn ihr Verhalten habe ihm, wie er sagte, Anlass zu Misstrauen gegeben. Offenbar seien sie auf der Flucht vor irgendetwas oder vielmehr irgendjemandem.
»Möglicherweise«, hatte er gesagt und die Augenbrauen hochgezogen, »sollte ich euch beide festsetzen und der Polizei übergeben …«
Während Mina noch fieberhaft darüber nachgedacht hatte, wie sie den Kapitän von seinem Vorhaben abbringen konnte, war sie Zeugin eines Gesprächs geworden. Aurelio Alonso hatte sich bei einem anderen Kapitän, der ihm neue Waren brachte, über eines seiner Dienstmädchen beschwert. Bevor sie es recht überlegt hatte, schwor Mina ihm, doppelt und dreifach so gute Arbeit zu leisten, wenn er ihre Schulden übernähme. Leider hatte sie in der Aufregung nicht daran gedacht, einen ordentlichen Stundenlohn auszuhandeln.
Mina unterdrückte einen Seufzer. Manchmal hatte sie den Eindruck, nie wieder aus Alonsos Fängen entkommen zu können. Zur Polizei zu gehen war ja nun unmöglich, denn sie befanden sich tatsächlich auf der Flucht. Auch Aurelio Alonso hatte schon mehr als eine Bemerkung in der Richtung fallen lassen, dass auch er sie verdächtigte, nicht immer auf tugendhaften Pfaden gewandert zu sein.
Aber wir sind unschuldig, wir haben nichts getan, fuhr es ihr durch den Kopf. Für einen Moment dachte Mina an den Tag ihrer Flucht zurück, als ihre Mutter sie abgefangen hatte, noch bevor sie nach Hause hatte zurückkehren können …
»Komm, lass uns rasch verschwinden«, hatte Annelie mit einer Entschlossenheit, die Mina gar nicht an ihr kannte, gesagt. »Ich habe ein kleines Feuer gelegt, das wird sie eine Weile beschäftigen.«
»Mama!« Mina hatte die Augen aufgerissen.
Annelie hatte sie ruhig angesehen. »Ich habe es für dich getan. Ich liebe dich, Mina, du bist mir das Wichtigste auf der Welt, aber wie oft war ich zu feige, dir das zu zeigen! Das ist jetzt vorbei, hörst du? Ich werde dich nie wieder alleinlassen.«
Danach waren sie sich in die Arme gefallen, kurz nur, aber Mina hatte sich nicht erinnern können, wann ihre Mutter sie das letzte Mal derart fest, fast verzweifelt, umarmt hatte …
Mina beugte sich wieder über den Putzlumpen und begann, energischer zu schrubben. Ein wenig halfen ihr die kräftigen Bewegungen gegen die Angst vor dem, was noch geschehen würde. Jemand ging an ihr vorbei zum Empfangstresen. Mit einem kurzen Blick vergewisserte sie sich, dass sie die Person nicht kannte und sich weiter ihrem Boden widmen konnte. Als die Empfangsschelle jedoch wenig später energisch bedient wurde, sprang sie sofort auf. Sorgfältig wischte sie sich die nassen Hände an der Schürze ab und trat näher. Aurelio Alonso war, wie so häufig, nirgendwo zu sehen. Er war kein Mensch, der sich gern totarbeitete. Viel lieber traf er sich mit Freunden zum Kartenspiel, zum Hahnenkampf oder auf ein Gläschen Zuckerrohrschnaps.
»Kann ich Ihnen helfen, Señor?«
Der Fremde drehte sich zu ihr um und ließ sogleich einen anerkennenden Blick über sie gleiten. Mina lächelte ihn freundlich an. Sie war es gewöhnt, dass man sie nicht bemerkte, wenn sie auf dem Boden hockte und putzte. Solche wie sie waren unwichtiger Dreck und jederzeit leicht ersetzbar.
»In der Tat«, erwiderte der Mann. »Man hat mir gesagt, das hier sei das Hotel Argentino. Ist das richtig?«
Mina schüttelte den Kopf. Der Mann, registrierte sie, trug einen feinen Anzug und darüber einen Mantel. Wo auch immer er hergekommen war, seinen blankpolierten Schuhen hatte die Reise nichts anhaben können. In einer Hand hielt er einen dunklen Hut.
»Leider nicht«, informierte sie ihn. »Ich fürchte, man hat sich einen dummen Scherz mit Ihnen erlaubt.«
Er lächelte mit leisem Bedauern. »Nun, immerhin durfte ich Sie kennenlernen.«
Mina unterdrückte ein dankbares Lächeln. Schon lange hatte niemand mehr etwas Freundliches zu ihr gesagt. Sie spürte, dass sie danach dürstete, wie eine vertrocknete Pflanze nach Wasser dürsten mochte. Mit ein
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