Die Lagune Der Flamingos
paar Worten beschrieb sie dem Fremden den Weg. Er bedankte sich freundlich. An der Tür drehte er sich noch einmal um.
»Sind in Rosario eigentlich alle Putzfrauen so hübsch?«, fragte er mit einem Augenzwinkern und war auch schon verschwunden.
Noch für lange Zeit spürte Mina ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Hübsch hatte der Mann sie genannt. Sie dachte an Frank. Es hatte sie fast verzweifeln lassen, dass sie es in diesem Jahr wieder nicht zur Plaza de la Victoria geschafft hatte. Würde es ihr im nächsten Jahr gelingen? Bestimmt. Im nächsten Jahr musste es einfach klappen.
Ob es Frank gut ging? Sie hoffte es sehr. Sie hoffte, dass ihm die Flucht gelungen war, dass er sich an irgendeinem Ort befand, an dem er sicher war, dass er an sie dachte, dass er daran dachte, sie wiederzutreffen, und sich genauso nach ihr sehnte wie sie sich nach ihm.
Wie immer dauerte es lange, bis Mina alle von Aurelio Alonso aufgetragenen Arbeiten erledigt hatte. Ihr ganzer Körper schmerzte, als sie sich endlich die schmale Stiege zu Annelies und ihrem von Ungeziefer verseuchten Zimmer hochschleppte. In diesem Jahr war sie zum ersten Mal Zeuge riesiger Heuschreckenschwärme geworden. Die Insekten hatten offenbar auf den vielen großen Inseln im Paraná ihre Brutstätten und waren tagelang in riesigen, die Sonne verdunkelnden Schwärmen über den Fluss geflogen. Alle Vegetation war von den gefräßigen Tieren vernichtet worden.
Abrupt blieb Mina nun stehen. Ihre Mutter saß auf der obersten Treppenstufe, leise schluchzend, den Kopf in den Armen vergraben. Mina ging langsam weiter die Treppe hinauf.
»Was ist mit dir?«, fragte sie sanft.
Annelie gab keine Antwort. Es gab diese Tage, an denen ihre Mutter einfach nur weinte und sich nicht beruhigen wollte. Zuerst hatte Mina sie zu trösten versucht, mit der Zeit hatte sie verstanden, dass sie nichts tun konnte. Irgendetwas ließ Annelie verzweifeln, aber ihre Tochter kam nicht an sie heran. Mina wusste, dass sie ihre Mutter jetzt einfach nur in Ruhe lassen musste. Sie ging an ihr vorbei auf das kleine Zimmer zu, dass sie sich teilten, und betätigte die Türklinke.
Nichts.
Mina versuchte es noch einmal. Immer noch nichts.
Es ist abgeschlossen, fuhr es ihr durch den Kopf, doch sie wollte diese Erkenntnis nicht akzeptieren. Noch einmal betätigte sie die Klinke, noch einmal und noch einmal, immer schneller hintereinander. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen.
»Es ist abgeschlossen«, sagte Annelie in diesem Moment.
»Aber …«
»Alonso hat unsere Sachen in den Flur gestellt«, fuhr Minas Mutter fort, als hätte die Tochter nichts gesagt.
»Was?« Mina fuhr herum, sah jetzt im Halbdunkel auf dem Boden ein kleines Bündel liegen. »Aber das kann er nicht tun!« Sie drängte sich wieder an ihrer Mutter vorbei. »Ich werde mit ihm reden.«
Eilig sprang sie die Treppenstufen hinunter, bediente mit hastigen Schlägen die Schelle auf dem Empfangstresen. Es dauerte nicht lange, bis Alonso aus seinem kleinen Zimmer schlurfte. Er schien überrascht.
»Was machst du denn noch hier?«
Mina schüttelte fassungslos den Kopf. »Wir wohnen und arbeiten hier, Señor Alonso. Haben Sie das vergessen?«
Aurelio Alonso sah erhitzt aus. Seine Gesichtshaut glänzte. Der Hemdkragen stand offen. Jetzt hörte Mina Männerstimmen aus dem kleinen Zimmer hinter dem Tresen. Offenbar spielten sie Karten. Alonso warf Mina einen ungeduldigen Blick zu.
»Nein, ihr arbeitet nicht mehr hier. Heute Nachmittag ist endlich jemand gekommen und hat eure Schulden übernommen.« Aurelio Alonso ließ die fetten, kleinen Hände gegeneinanderklatschen. »Somit bin ich euch los.«
Mina spürte Empörung in sich aufsteigen.
»Aber Sie können uns nicht einfach verkaufen. Wir sind doch keine Sklaven!«, rief sie.
»Ich habe euch nicht verkauft. Ich habe lediglich eure Schulden weitergegeben.«
Aurelio Alonso sah sehr zufrieden aus. Mina vermutete, dass er mehr Geld bekommen hatte, als sie ihm schuldeten.
»Und an wen? Ich muss ihn sofort sprechen. Wo ist er, Señor Alonso?«
»Nun, ich bin hier«, sagte mit einem Mal eine Stimme von der Tür her.
Mina hatte diese Stimme schon einmal gehört, früher am Tag, als ein Gast sie nach dem Hotel Argentino gefragt hatte. Sie drehte sich um. Ihre Knie wurden für einen Moment weich, als sie den gut aussehenden Fremden auf sich zukommen sah. Dann straffte sie die Schultern. Dieser Mann, schoss es ihr durch den Kopf, hat uns gekauft.
Warum nur?
Dritter
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