Die Lagune Der Flamingos
ich vorstellen«, wandte Jenny sich nun an sie, »das ist John Hofer. John, das ist Marlena Weinbrenner.«
»Von Meyer-Weinbrenner & Co?«, erkundigte John sich sofort und betrachtete Marlena plötzlich so eingehend, dass diese beinahe zurückgewichen wäre. Sie zwang sich jedoch, stehen zu bleiben. Johns Mund lächelte immer noch, doch sein Blick war deutlich kühler geworden. Jetzt sprach er weiter: »Und, liebe Marlena, wie halten es deine Eltern mit den Arbeiterrechten?«
Marlena öffnete den Mund. Doch auch wenn sie unter anderen Umständen schlagfertig sein konnte, dieses Mal wollte ihr nichts einfallen. Sie hatte sich noch nie mit dieser Frage beschäftigt.
»Es heißt«, fuhr John jetzt fort, »deine Eltern beugen auch mal das Gesetz, wenn es ihnen passt.«
Die Röte, die Marlena jetzt ins Gesicht stieg, war die der Empörung. »Wer sagt das?«
»Ein gewisser Joris Breyvogel.«
Marlena schnaubte verächtlich. Joris Breyvogel war der Sohn des Mannes, der Anna dazu hatte bringen wollen, ihre beiden Geschäfte zu einem zu vereinen. In seinem Kampf gegen die Konkurrentin hatte Stefan Breyvogel nicht immer fair gespielt. Mehr wusste sie nicht. Vor etwa einem Jahr war Stefan Breyvogel dann während eines heftigen Wolkenbruchs auf der Chile, einer Straße mit sehr hoch gelegenem Bürgersteig, ausgerutscht, in den reißenden Bach gefallen, in den sich die Straße verwandelt hatte, und ertrunken. Man munkelte, er sei betrunken gewesen. Gewiss, es war ein elender Tod, aber ihre Eltern hatten damit sicher nichts zu tun.
Marlena bemerkte, dass John sie immer noch ansah. Ein leises Schmunzeln war in seine Augen zurückgekehrt. Sie senkte den Blick. Sie war wütend. Jenny hatte sie einander vorgestellt, und sie hatte angenommen, dass sie nun miteinander Konversation betreiben würden, wie sie das gewohnt war – mit höflichen Nachfragen nach dem Befinden und der Familie. John Hofer kannte offenbar gar keinen Benimm. Aus den Augenwinkeln sah Marlena, wie Jenny den Kopf schüttelte.
»John, jetzt lass das Mädchen. Marlena begleitet mich heute, weil sie sich für Rahels und meine Arbeit interessiert.«
»Ach ja, die Fürsorge .«
So wie John es aussprach, klang es furchtbar abfällig. Jenny ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken. »Du hast mir immer gesagt, dass du mich bewunderst.«
John grinste. »Ist ja gut!«
Obwohl sie sich eben noch über diesen John geärgert hatte, obwohl sie sich eben noch sicher gewesen war, dass er ihr gleichgültig war, konnte Marlena jetzt den Blick nicht mehr von ihm nehmen. Als auch er sie ansah und einen Atemzug später etwas zögerlich lächelte, vibrierte plötzlich etwas in Marlena mit einem hellen, leisen Klang. Aber was war das denn, um Himmels willen?
Ohne etwas dagegen tun zu können, als hätte sich ihr Mund selbstständig gemacht, erwiderte sie sein Lächeln.
Fünftes Kapitel
Auch in diesem Jahr gab es Anfang September zwei Wochen Frühlingsferien, und Estella fuhr nach Tucumán. Es war noch recht frisch für die Jahreszeit, aber das machte ihr nichts. Auf Tres Lomas wurde es nie langweilig, und der nächste Sommer war ja nicht mehr weit.
Ihre Mutter und Pedro hatten sich mit der Estancia ein Paradies erschaffen, aber sie wurden immer noch wegen der besseren Bezahlung und Behandlung ihrer Arbeiter angefeindet – bisher war glücklicherweise nichts passiert. Don Laurentio hatte seinen finanziellen Engpass offenbar vorerst überwunden und war in diesem Winter sogar nach Europa gefahren, eine Reise, von der er auf den Empfängen im Kreis der Estancieros gern großspurig berichtete.
Estella gab nichts darauf. Europa interessierte sie nicht. Bewunderer fanden sich in Argentinien genügend. Sie war gerade sechzehn Jahre alt geworden und vergewisserte sich auf ebenjenen Empfängen, auf denen Don Laurentio prahlte, gern ihrer Wirkung auf die Männerwelt. Stolz präsentierte sie die Kleider, die sie in Buenos Aires erstanden hatte. Ebenso gern aber ritt sie immer noch aus, galoppierte über die weite Ebene, ließ sich den Wind durchs Haar zausen oder suchte die Kühle der Berghänge und Lorbeerwälder auf.
Als Estella auf Tres Lomas eingetroffen war, hatte Viktoria ihre Tochter als Erstes in den Stall geführt. Ein Pferd wartete dort auf sie. Eine Stute mit dunkelbraunen Augen und einem samtweichen Maul, deren falbes Fell ins Goldene spielte.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, hatte Viktoria mit strahlendem Lächeln gesagt. »Wie wirst du sie
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