Die Lagune Der Flamingos
wegen Widerrede züchtigen …«
Noch in der Erinnerung stieg Paco die Röte ins Gesicht.
»Lass dich nicht von so etwas ärgern, Paco.«
»Nein, er ist ja auch fort. Ein Wort an Mama genügte.«
»Mhm.«
Und dann saßen sie nebeneinander auf dem Baumstamm. Estella berichtete von Buenos Aires. Paco sprach davon, was in ihrer Abwesenheit auf Tres Lomas passiert war. Estella fühlte sich mit einem Mal sicher und zu Hause. Sie hoffte nur, dass sie dieses anheimelnde Gefühl mitnehmen konnte, wenn sie wieder in Buenos Aires eintraf.
Marlena stand aufgeregt mit ihrem Stiefvater Julius am Bahnhof, um Estella und Fabio abzuholen. Sie war froh, dass die beiden jetzt bald wieder bei ihr waren. Zwischen Tucumán und Buenos Aires lagen schließlich fast tausendzweihundert Kilometer. So verbrachte Estella nur die Ferien, von Marlena jedes Mal schmerzlich vermisst, bei ihren Eltern und wohnte während der Schulzeit bei Marlenas Familie.
Marlena konnte es stets kaum erwarten, dass die Zeit der Trennung vorbei war. Wenn sie befürchtet hatten, Estella im Gewühl des Bahnhofs nicht finden zu können, so hatten sie sich getäuscht. Strahlend wie ein bunter Schmetterling flatterte die junge Frau aus dem Zug, umringt von einer Schar Bewunderer, die darum rangen, ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen und ihr behilflich sein zu dürfen. Gegen die Sonne hatte Estella beim Verlassen des Zuges einen breitkrempigen Hut aufgesetzt, ein paar Schritte hinter ihr trottete Fabio, sichtlich unzufrieden, wieder in der Stadt zu sein. Paco und er waren seit den gemeinsamen Tagen ihrer frühen Kindheit in Buenos Aires gute Freunde. Wahrscheinlich hatte Fabio die letzten Wochen hauptsächlich zu Pferde und damit zugebracht, sein Geschick im Umgang mit boleadoras zu verfeinern, mit denen vormals die Indianer und die Gauchos zur Jagd gegangen oder ihre Feinde zur Strecke gebracht hatten. Estella und Fabio hatten Marlena und Julius noch nicht bemerkt. Jetzt lachte Estella fröhlich über etwas, was ihr einer ihrer Begleiter zugeraunt hatte. Marlena sah, wie Julius, der sie beim Arm hielt, belustigt lächelte.
»Sie erinnert mich immer mehr an ihre Mutter«, wisperte er ihr im nächsten Moment zu.
Marlena betrachtete die Freundin nachdenklich. Sie kannte Viktoria aus Estellas Berichten nur noch als Frau, die ein ruhiges, zurückgezogenes Leben auf Tres Lomas bei Tucumán führte. Nur wenige, unter ihnen die Familie Meyer-Weinbrenner, wussten von ihrer Beziehung zu ihrem Vorarbeiter Pedro Cabezas. Jeder hoffte darauf, dass die beiden eines Tages heiraten konnten.
Marlena runzelte die Stirn. Estella war stehen geblieben und schaute sich suchend um. Als sie endlich Julius und Marlena entdeckte, kam sie rasch näher. Angesichts des wartenden Mannes zerstreuten sich ihre Begleiter. Estella schenkte ihnen ohnehin keine Beachtung mehr.
»Puh«, rief sie jetzt aus, »endlich angekommen. Das war vielleicht mal wieder eine lange Reise. Ich bin schon so gespannt, was es Neues gibt in Buenos Aires. Ach, es ist so schön, wieder in einer richtigen Stadt zu sein.« Sie gab Julius die Hand, der ihr mittlerweile wie ein Vater war, wandte sich dann an Marlena und umarmte die Freundin überschwänglich. »Ich habe dich so vermisst.«
Marlena erwiderte die Umarmung und küsste die Freundin auf beide Wangen. »Ich dich auch, ich dich auch. Ach, es gibt so viel zu erzählen!«
Estella hakte Marlena unter.
»Gehen wir zu Maria?«
»Dürfen wir?«, vergewisserte sich Marlena mit einem Blick zu Julius hin.
Der lächelte. »Warum nicht? Sie wird sich freuen, euch und vor allem Fabio wiederzusehen.« Er klopfte Fabio auf die Schulter.
»Na, also«, rief Estella. »Auf zu Maria!
Maria stand in ihrer Konditorei und arbeitete konzentriert an ihren fantasievollen Kreationen. Sie hatte eine kleine Scheibe zwischen Backstube und Café einsetzen lassen, durch die sie die Verkaufstheke und die kleinen Tische gut im Blick hatte, während sie selbst immer wieder neue Köstlichkeiten ersann. An ihrer Seite arbeiteten ein Bäckerjunge, den Julius eines Tages vom Hafen mitgebracht hatte, und eine junge Frau, die auf Rahel Goldbergs Empfehlung zu ihr gekommen war. Eine zweite junge Frau stand hinter dem Verkaufstresen, eine dritte bediente die Damen, die sich nach einem anstrengenden Einkauf in der Calle Florida oder der Victoria, den zwei wichtigsten Einkaufsstraßen für Luxusgüter, im Café Maria gern mit Törtchen, Kuchen, dulce de leche und heißer Schokolade stärkten. Hatte
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