Die Lagune Der Flamingos
Maria anfänglich fast alles allein gemacht, so konnte sie sich mittlerweile auf die Herstellung neuer Backwaren konzentrieren und die einfacheren Arbeiten ihren Helfern überlassen.
Eben war eine zierliche Schwarzhaarige hereingekommen und hatte sehr kurz entschlossen ein Stück eines Kuchens gekauft, den Maria nach einem toskanischen Rezept zubereitet hatte. Die junge Frau war vornehm und teuer gekleidet gewesen, hatte aber trotzdem unsicher und seltsam fehl am Platz gewirkt. Sofort verspürte Maria Mitleid. Sicherlich war sie eine junge Italienerin und neu in der Stadt. Vermutlich stammte sie sogar aus der Toskana und suchte sich mit dem Kuchen ein Stück Erinnerung an die Heimat zu bewahren. Mancher Landsmann war mittlerweile reich geworden, und Maria wusste, dass viele von ihnen irgendwann über das Meer fuhren, um sich in Italien, in den einfachen Orten, aus denen sie gekommen waren, ein ebenso einfaches, gutes Mädchen zu suchen. Viele von diesen jungen Dingern wurden dabei einer eher ärmlichen Umgebung entrissen und waren oft vollkommen überfordert mit dem Prunk, dem sie sich in Buenos Aires so unvermittelt gegenübersahen.
Ach, sie taten Maria so leid, diese ganzen Lucias, Graziellas, Marcellinas aus ihren fernen Dörfern, die doch nicht in die feinen Roben passen wollten, mit denen ihre reich gewordenen Männer sie ausstaffierten. Diese jungen Frauen blieben die einfachen Mädchen vom Land, die meist nur Dialekt sprachen und sich in der Welt nicht auskannten, waren unbeholfen, wurden belächelt und mussten sich sicher oft sehr einsam fühlen.
Für einen Moment hielt Maria im Teigrühren inne. Dies war ihr immerhin erspart geblieben. Bis zu Lucas Tod während der schrecklichen Gelbfieberepidemie hatten sie stets ihr gewohntes, einfaches, aber doch nicht unglückliches Leben geführt. Danach hatte sie einige Jahre in Annas Haushalt gelebt, dort in der Küche gearbeitet und auf die Kinder aufgepasst.
Die Konditorei zu eröffnen war Annas Idee gewesen. Inzwischen, nach nur kurzer Zeit, war das Café Maria berühmt für seine Kuchen und Torten. Das anfänglich einfache Mobiliar war gegen feineres ersetzt worden, obwohl Maria die, wie sie fand, unnötigen Ausgaben in der Seele wehgetan hatten.
»Gönn es dir«, hatte Julius gesagt und geschmunzelt, »du hast es dir nicht nur verdient, du kannst es dir auch leisten.«
Vielleicht hatte er Recht. Maria lächelte. Sie war erfolgreich, wie viele ihrer Landsleute. Inzwischen bildeten die Italiener sicherlich die größte Einwanderungsgruppe in der Stadt. Es gab keinen Winkel, in dem nicht ein Landsmann bei der Arbeit anzutreffen war. Sie arbeiteten als Leierkastenmänner, Stiefelputzer, Dienstleute und Lakaien. Sie waren Matrosen, Soldaten, Polizisten und Friseure. Die meisten Lebensmittelhändler waren Italiener, ebenso die Bäcker, Maurer und Mühlenbesitzer. Italiener arbeiteten als Sattler, ein einträgliches Geschäft, wenn man die Leidenschaft der porteños , wie man die Bewohner Buenos Aires’ nannte, für den Pferdesport bedachte. Sie waren Schuster, Schneider, Schlosser, Arbeiter in der Liebig’schen Fabrik, wo der berühmte Fleischextrakt hergestellt wurde, oder bei der Talgzubereitung. Italiener führten Osterias, Restaurants, Hotels und Kaffeehäuser im Pariser Stil. Auch konnte man mit Fug und Recht sagen, dass es Italiener gewesen waren, die die Konditoreien von Buenos Aires berühmt gemacht hatten.
Ein neuerliches Geräusch ließ Maria durch die Scheibe spähen. Eben kam ein kleiner Junge zur Tür hereingestürmt und bremste seinen Lauf auf dem blankpolierten, dunklen Parkett des Verkaufsraumes.
»Maria«, rief er der Verkäuferin zu, »ist Maria da? Ich soll ihr ausrichten, dass Fabio und Estella eben mit dem Zug aus Tucumán eingetroffen sind und gleich hier sein werden.«
Maria ließ sofort ihre Schüssel los und überreichte den Rührstab an das Mädchen. Als Estella, Fabio und Marlena eintrafen, hatte sie schon einen Tisch gedeckt und frischen Kakao aufgebrüht. Lachend drückte sie ihren Sohn an sich, der die mütterliche Umarmung erst zu genießen schien und seine Mutter dann peinlich berührt von sich schob.
»Maria!«, rief Estella, bevor die darüber traurig sein konnte, »ich freue mich so, endlich wieder da zu sein.«
»Du hast wirklich mit Prostituierten gesprochen? Nein, Marlena!«
Estella klang beeindruckt. Marlena nickte noch einmal bekräftigend, zufrieden mit der Wahl des Gesprächsthemas. Sie hatte gewusst, dass sie
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