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Die Lagune Der Flamingos

Die Lagune Der Flamingos

Titel: Die Lagune Der Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofia Caspari
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sie und eine enge Freundin der Familie. Sie hatte ihr auffälliges rotes Haar in einen festen Zopf geflochten und zu einem engen Dutt gewunden. Auf ihrem Kopf saß ein Hut, ein kleiner Schleier fiel ihr bis über die Augen und betonte ihren großen, rosigen Mund.
    Kennengelernt hatten Anna, Julius und sie einander auf dem Schiff nach Buenos Aires. Jenny war damals als blinde Passagierin an Bord gewesen, fest entschlossen, in der Neuen Welt ihren Vater wiederzufinden. Doch das Leben hatte anders gespielt. Ihr Begleiter, ein älterer Junge namens Claas, war grausam ermordet worden. Ihren Vater hatte Jenny nicht gefunden, jedoch eine neue Familie gewonnen.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich kommst«, bemerkte sie nun und musterte Marlena kurz von oben bis unten.
    »Warum?«
    »Hast du keine Angst? Schließlich ist das eine ganz andere Welt als die, die du kennst.«
    Marlena schüttelte den Kopf. »Uns ist es auch nicht immer gut gegangen, Jenny, das weißt du.«
    Sie blickte sich kurz um. Nach langem Überlegen hatte sie ein dunkelgraues Kleid mit Jacke gewählt, aber keinen Hut. In Ermangelung einer anderen ausreichend großen Tasche trug Marlena ihre Schultasche unter dem Arm – etwas unpassend, wie sie jetzt fand, aber sie beschloss, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.
    Jenny atmete tief durch. »Na, dann komm einmal mit.«
    Marlena folgte Jenny über die Plaza Lavalle. Marlena sah Frauen, die nicht mit ihren Reizen geizten, um Kunden anzulocken, und solche, die so verhärmt aussahen, dass sie niemals darauf gekommen wäre, welchen Beruf sie ausübten. Es gab Frauen, deren ganze Haltung Aufbegehren ausdrückte, und solche, die sich und die Welt schon aufgegeben hatten.
    »Viele hier kommen von weit, weit her aus Osteuropa«, hörte sie jetzt erstmals wieder Jennys Stimme. »Es sind Jüdinnen, die man gegen ihren Willen mit Zuhältern verheiratet hat. Diese Frauen haben keinen Platz mehr, nirgendwo, weder in dieser Welt noch in der, aus der sie gekommen sind …« Jennys Stimme klang mit einem Mal bitter. »Sie sind Ausgestoßene, dabei hat man ihnen gar keine Wahl gelassen. Manche wurden sogar von ihren Ehemännern verkauft.«
    Marlena sah die Frauen plötzlich in einem anderen Blicklicht. Der Gedanke, dass hier wohl kaum eine freiwillig stand, jagte ihr Schauder über den Rücken. Eine Zeit lang gingen Jenny und sie schweigend nebeneinander her, während Marlena die Vielzahl schrecklicher Schicksale in sich aufnahm und in Gedanken Notizen machte. Sie hoffte nur, dass sie sich das alles für ihren ersten Artikel würde merken können.
    »Bist du auch Jüdin?«, fragte sie Jenny irgendwann zaghaft.
    Die blieb stehen und lächelte. »Weil Rahel Goldberg meine Mutter ist, meinst du?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Obwohl die Goldbergs mich adoptiert haben, ließen sie mich evangelisch erziehen, aber die Religion spielt keine Rolle. Ich sehe, wo ich helfen muss, und ich helfe gern, das Leben dieser Frauen zu verbessern. Wir sind alle weibliche Wesen, Marlena, das ist es, was uns verbindet.« Sie zögerte. »Ich wäre auch stolz, wenn ich eine Jüdin wäre – so, wie die Frau, die mir mein heutiges Leben ermöglicht hat.«
    Marlena nickte. Sie musste sich wirklich unbedingt alles merken, was sie an diesem Tag sah und erlebte. Dann würde sie vielleicht zuerst einmal eine Reportage für die Schulzeitung schreiben und … Sie bemerkte etwas verspätet, dass Jenny ihren Schritt verhielt, und wäre fast gegen den Mann geprallt, der sich ihnen mit einem Mal in den Weg stellte. Er war groß gewachsen und durchaus gut aussehend, wie Marlena mit einem Blick feststellte – hellbraunes Haar hatte er, grünbraune Augen und ein irritierend spöttisches Lächeln auf den markanten Zügen. Jenny schien den Mann zu kennen, im nächsten Moment sprach sie ihn auch schon an.
    »John«, sagte sie, »ich bin überrascht, dich zu sehen. Es hieß überall, du seist immer noch in New York.«
    »Nein, wie du siehst, bin ich das nicht. Mein Geist steht dir jedenfalls kaum gegenüber.«
    Der Mann hatte Jenny kurz angesehen und musterte nun Marlena. Marlena bemerkte, wie die Röte mit einem Mal wie mit heißen Fingern nach ihren Wangen griff. Johns Augen funkelten herausfordernd. Er war schlecht rasiert, wie sie jetzt bemerkte. Überhaupt sah er nachlässig aus. Sie meinte sogar, Alkohol zu riechen. John war auch viel älter als sie selbst, gewiss sogar älter als Jenny, bestimmt schon Mitte dreißig.
    »Marlena, darf

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