Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
eine tiefe Zärtlichkeit für Mansuetta, und sie fühlte sich von einem Beschützerdrang übermannt, den sie bisher in dieser Form nur für Matteo empfunden hatte, als er noch ganz klein gewesen war.
Sie schaute Mansuetta fest in die Augen. »Dann können wir für dich unten einen Schlafplatz herrichten, und du musst nicht mehr so häufig Treppen steigen.«
Mansuetta erwiderte ihren Blick, halb trotzig, halb unsicher. »Oh, also ich weiß nicht ...« Dann nickte sie langsam. »Ja, wahrscheinlich hast du recht. Ich war noch nie sehr gut im Treppensteigen.« Sie holte Luft, dann meinte sie zögernd: »Wenn Mutter eines Tages wiederkommt, wäre sie bestimmt damit einverstanden.« Sie hielt inne, dann sprach sie langsam weiter, wie um sich selbst Mut zu machen. »Du bist noch jung, aber Mutter sagte immer, du bist weit für deine Jahre, und auf deinen Schultern sitzt ein kluger Kopf. Du wirst schon wissen, was du tust. Bestimmt wird sich alles zum Guten wenden.« Doch ihre Miene drückte Zweifel aus, während sie das sagte, und sie schüttelte den Kopf, als könne sie es selbst nicht so recht glauben. Sie wandte sich ab und ging nach nebenan in ihre und Matteos gemeinsame Schlafkammer.
»Fertig«, sagte Veronica. »Dieses Braun kleidet dich vortrefflich! Soll ich jetzt deine Haare machen?«
Laura nickte zögernd und setzte sich auf einen Schemel, damit Veronica sie frisieren konnte. Mit einem Mal war der Schwung, der sie vorhin noch beflügelt hatte, dahin. Düsterkeit bemächtigte sich ihrer, und sie dachte sorgenvoll an die Zukunft.
Der Klang der Fanfaren und Trommeln war an manchen Stellen der Piazza so laut, dass sie eine Weile brauchten, um im Gedränge der Zuschauer einen Platz zu finden, wo man nicht Gefahr lief, von der Musik taub zu werden. In buntem Auf und Ab wogte die Menge der kostümierten Karnevalsgänger über den Platz. Es blieb kaum eine ausreichend breite Gasse für den Aufzug der Triumphwagen, die einige der großen Scuole aufwändig ausgestattet hatten.
Zwischen Scharen von aufspielenden Musikern sah man in Seide gewandete Knaben mit goldenen Kandelabern. Sie schritten neben einem Wagen, auf dem sich eine Gruppierung tummelte, die ein politisches Bild darstellte: Eine blühend schöne Venezia in schimmernden Gewändern erhob sich, auf dem Markuslöwen reitend, über eine fette, hässliche, sich krümmende Europa. Aus der Allegorie sprach derselbe unbekümmerte Siegeswille, mit dem die Markusrepublik im Laufe ihrer Geschichte allen Bedrohungen von außen entgegengetreten war. Seit tausend Jahren gehörte den Venezianern nun ihre Lagune, und inmitten ihres Inselreichs hatte die Stadt sich als unverwundbar und siegreich erwiesen, ob mit Schwert oder Segel. Mochte sie auch Ländereien und Handelsanteile verloren haben – noch immer war die Serenissima in ihrer Herrlichkeit unerreicht.
Der Löwe war so täuschend echt nachgebildet und sein Gebrüll so beeindruckend, dass manche Kinder in der Menge verängstigt aufschrien, als der Wagen vorbeirollte. Auf einem anderen Wagen war eine Weltkugel mit ringsum leuchtenden Sternbildern befestigt, auf magisch anmutende Art schien sie in der Pracht ihrer Laternenillumination dort oben zu schweben, ohne dass auf Anhieb eine Halterung zu erkennen war.
Kostbar gekleidete Mohren führten schwer mit allerlei Schätzen beladene Kamele und Esel über das Pflaster. Männer mit Turbanen trugen in ihrem Gefolge überquellende silberne Füllhörner, Symbole für den unermesslichen Reichtum der Lagunenstadt, an dem sich das Volk heute ergötzen konnte. Hin und wieder griff einer der Kostümierten in ein Füllhorn und warf eine Handvoll Münzen in die Menge, worauf jedes Mal ein johlendes Gerangel einsetzte, bis alles Geld verteilt war und die Musik das Geschrei wieder mit Getöse übertönte.
Die Stimmung an diesem Karnevalsmontag hätte nicht besser sein können. Das Wetter spielte ebenfalls mit; es hatte den Venezianern einen Hauch von Frühling beschert, und der laue Wind, der von Süden über das Meer in die Lagune kam, schien nichts weiter zu sein als der Vorbote reinsten Glücks. Es war Karneval, und es wurde Frühling. Die Menschen wollten nicht glauben, dass die Löwenrepublik am Vorabend eines großen Krieges stand.
»Gefällt es dir?«, rief Zuane Laura zu.
»Es ist herrlich!«, schrie sie zurück.
Sie standen unweit des Campanile in unmittelbarer Nähe des Festzuges. Später wollten sie auf der Barke der Familie Querini über den Canal Grande rudern,
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