Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
mitbekam. Immer noch musste er daran denken, was er aus dem Gespräch zwischen Mosè und dem Zehnerrat Querini über den Alaunhandel wusste. Mittlerweile hatte er auch einiges über den Holz-, Tuch- und Glashandel erfahren, meist zwar nur das, was er durch offen stehende Kontortüren oder bei lautstark geführten Palavern im Rialtoviertel oder vor der Prokuratie beiläufig hörte, doch hin und wieder hatte er auch Fragen gestellt, hauptsächlich den Händlern, bei denen er Essen und Lampentalg kaufte, manchmal aber auch den Kaufleuten, die am Rialto oder auf der Piazza San Marco ihre Geschäfte tätigten. Er wollte alles über Zinsen und Einfuhrkontrollen erfahren, über Rohstoffbedarf und Monopole, über Zölle und Steuern.
Meist erzählten sie ihm bereitwillig, was sie wussten, denn fast alle Geschäftsleute prahlten für ihr Leben gern mit ihren Kenntnissen – um die es allerdings bei Lichte betrachtet oftmals eher dürftig bestellt war.
Antonio stromerte durch die schmalen Gassen, ziellos und mit knurrendem Magen, wütend auf sich selbst und auf den Rest der Welt, weil er derart vom Pech verfolgt war. Hin und wieder stieg er vorsichtig über einen Haufen Unrat, weniger darauf bedacht, seine Füße vor Schmutz zu bewahren, als darauf, sich nicht an Scherben oder anderen scharfen Gegenständen zu verletzen. Neuerdings zog er immer häufiger ohne Zòccoli los, denn er hatte bereits ein gutes Paar bei einer überstürzten Flucht verloren. Er war entschlossen, sich nicht noch einmal durch klapperndes Schuhwerk behindern zu lassen, falls er um sein Leben rennen musste. Andererseits konnte er nicht auf Schuhe verzichten, wenn es kälter wurde. Erst letzte Woche hatte er ein Paar neue ergattert, und die wollte er unbedingt über den Winter retten, denn Schuhe waren nicht billig. An welche zu kommen, ohne dafür zu zahlen, war ein seltener Glücksfall, so wie bei seinen neuen Zòccoli. Sie waren ihm ein wenig zu groß, doch er würde bald hineingewachsen sein. Bei der Auswahl hatte er nicht wählerisch sein können; er hatte die Schuhe gleichsam geerbt, von einem Toten, den er in einer winzigen Gasse hinter dem Fischmarkt gefunden hatte, mit durchschnittener Kehle – und leider ohne Geldbörse. Immerhin hatten noch ordentliche Schuhe an seinen Füßen gesteckt. Antonio hatte nichts weiter getan, als sie ihm auszuziehen und wie der Blitz damit zu verschwinden.
Er kehrte aus einer der Marktgassen zum Canalezzo zurück und blieb am Fuß der Rialtobrücke stehen, weil ihm ein besonders edel gekleideter Kaufmann aufgefallen war. Der Mann stand mit einem älteren Händler zusammen; die beiden waren in ein angeregtes Gespräch vertieft. Zweifellos war der jüngere Mann ein Patrizier, mit seiner schweren Wappenkette, den glänzend grünen Calze, dem Seidenhemd und dem bestickten Samtwams. Abgesehen von seiner teuren Kleidung wirkte er eher unauffällig. Er war mittelgroß und schlank, bartlos und mit aschblonden, schulterlangen Locken. Antonio taxierte ihn genauer. Sonderlich kräftig wirkte er auf den ersten Blick nicht. Auch der ältere Kaufmann sah nicht aus wie jemand, der hart zuschlagen konnte. Er war sicher schon über sechzig und mit seinem Leibesumfang zu behäbig für eine Verfolgungsjagd.
Antonio schob sich unauffällig näher heran, um zu sondieren, wo der Patrizier seinen Beutel hängen hatte, doch dann sah er den langen Degen an der Seite des Adligen und schlug sich die Gedanken an einen raschen Schnitt aus dem Kopf. Der Mann hatte eine Hand am Heft der Waffe liegen, und die Art, wie er Arme und Schultern hielt, ließ darauf schließen, dass er im Umgang mit dem Degen erfahren war.
Antonio wäre nie so dumm, einen kampfbereiten Mann zu bestehlen, auch wenn der Tag noch so miserabel verlaufen war. Lieber kehrte er mit leeren Taschen heim und nahm den Spott der anderen in Kauf. Letzteres, so räumte er sich selbst gegenüber missmutig ein, wäre nur halb so schlimm, wenn Laura nicht ausgerechnet heute solchen Erfolg gehabt hätte.
»... wird der Handel der Serenissima empfindliche Einbußen erleiden«, sagte der beleibte Händler, mit dem der Patrizier sich unterhielt. Er sprach Venezianisch, jedoch mit starkem deutschem Akzent. »Vorausgesetzt, es stimmt, was Eure Mittelsmänner Euch berichten.«
»Meine Quellen sind erstklassig«, sagte der jüngere Mann in überheblichem Ton. »Ich habe Vertrauensleute in allen großen Städten, und wichtige Nachrichten erreichen mich so schnell wie der Wind.« Er
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