Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
sie Windeln für ihren Bruder geschnitten, und die Gamurra diente ihm als Decke und Einschlagtuch.
Carlo nahm das Messer vom Hals des Jungen. »Warum sind sie hier?«, wollte er von Valeria wissen.
Sie zuckte die Achseln. »Sie wohnen hier. Sie waren schon vorher da, oder nicht?«
»Was hat Antonio dazu gesagt?«, fragte Laura. »War er überhaupt schon hier?«
»Oh, er war hier, und er hatte miserable Laune«, sagte Valeria. Ihre Hand mit dem Kamm bewegte sich auf und ab, und die seidigen hellen Strähnen teilten sich und fielen herab wie flüssiges Silber. »Anscheinend gingen seine Geschäfte heute nicht besonders.« Ihre Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. »Er sagte, es wäre deine Schuld, du hättest ihn um seine Beute gebracht.«
Laura fuhr auf. »So war es nicht!« Sie merkte, wie sich ihre Wangen röteten. »Er kam nicht zum Zuge, das ist wahr, aber es lag nicht an mir. Er hat sich wieder von demselben Juden erwischen lassen wie im letzten Jahr.«
»Ach«, sagte Valeria erstaunt. »Hat er das? Mir ist das ganz neu. Erzähl doch mal. Und woher weißt du überhaupt, was ihm letztes Jahr passiert ist?«
»Ich hab’s zufällig gesehen«, sagte Laura gereizt. »Wo ist er?«
»Warum willst du das wissen? Wegen Oratio und Tomàso? Antonio ist nicht der Einzige, der hier zu entscheiden hat, weißt du. Wir alle geben unseren Mietanteil dazu, also herrscht gleiches Recht für alle.«
»Wo ist er?«
Valeria hob die Schultern. »Er ist noch mal los, zum Rialto.«
»Was will er da?«
»Was wohl?«
Ein schwacher Schauer lief Laura bei dieser Antwort über den Rücken.
Valeria richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Spiegel. Sie kämmte sich, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, doch der Blick, den sie aus den Augenwinkeln zu Carlo hinübersandte, signalisierte jene besondere Unruhe, die Laura schon oft zwischen den beiden wahrgenommen hatte. Carlo steckte das Messer weg und ließ sich auf seine Matte sinken. Er kreuzte die Beine und lehnte sich scheinbar gelassen zurück, doch es entging Laura nicht, dass er Valeria unter seinen gesenkten Lidern hervor betrachtete.
»Besser, ihr verschwindet alle noch mal«, sagte Valeria. »Ich habe gleich Besuch, er wird in ein paar Minuten hier auftauchen.«
Laura fuhr empört auf. »Das war nicht ausgemacht!«
Valeria zog nur belustigt die Brauen hoch. »Manchmal ergibt es sich eben anders. Er wollte morgen kommen, aber da kann er nicht, also muss es heute sein. Dafür habt ihr morgen Ruhe. Ein gerechter Ausgleich. Es dauert außerdem nicht lange.« Geheimnisvoll fügte sie hinzu: »Und überhaupt, es kann sein, dass bald niemand mehr von den anderen Kerlen herkommt. Ich habe jemanden kennengelernt. Jemand richtigen.«
»Willst du heiraten?«, fragte einer der Brüder.
Valeria warf den Kopf zurück und lachte. »Nicht doch«, meinte sie kichernd. »Aber er hat genug Geld, um mich gut zu bezahlen. Vielleicht werde ich sogar bei ihm wohnen, er hat ein großes Haus.« Ihr Tonfall wurde wieder streng. »Aber heute bleibt alles beim Alten. Also raus mit euch.«
Oratio und Tomàso rappelten sich von dem Strohlager hoch.
»Wir kommen wieder«, sagte der Junge mit der Narbe. Laura konnte sehen, wie erbärmlich dünn die beiden waren. Mit einem Mal reute es sie, dass sie ihnen die Wurst streitig gemacht hatte. Als sie selbst im Frühjahr abgerissen und ausgehungert hier eingetroffen war, hatten die anderen ihr nicht das Essen verweigert.
Sie hob den Wurstzipfel auf und hielt ihn dem Jungen hin, der ihn fallen gelassen hatte. Er riss ihn ihr aus der Hand, schob ihn sich zwischen die Zähne und ging polternd zur Tür, gefolgt von seinem Bruder.
Laura zuckte zusammen, als die Tür hinter ihnen zuknallte. Sie langte nach unten und rieb sich abermals das Knie, in Gedanken weit weg. Matteo zog sich an ihren Beinen hoch. Er reckte bittend ein Ärmchen hoch. »La-ha«, sagte er. Sein Tonfall war weinerlich; er hatte Durst und war müde.
»Gib ihn mir«, sagte Carlo. »Ich trage ihn, bis er schläft.« Er nahm den Kleinen auf den Arm.
Der Ausdruck in seinen Augen war undeutbar, aber seine Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst. Er vermied es, in Valerias Richtung zu schauen, als er zur Tür ging. Laura folgte ihm, leicht humpelnd, weil ihr anschwellendes Knie bei jedem Schritt schmerzte.
Sie fühlte sich seltsam verloren, während sie hinter Carlo die Stiege hinunterging. Draußen schien die Abendsonne aufs Pflaster, die Luft war mild und
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