Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
warm, doch Laura fröstelte immer noch. Carlo ging mit dem Kleinen voraus bis zum Campo und setzte sich auf eine der Stufen, die zu der erhöhten Brunnenanlage hinaufführten. Matteo lag schlaff an seiner Schulter, er war schon im Haus auf der Treppe eingeschlafen.
Laura blieb unschlüssig vor ihm stehen. »Gehen wir noch mal zum Strand?«
»Lohnt sich nicht«, sagte Carlo. Er deutete mit dem Kinn auf den jungen Mann, der soeben mit forschen Schritten auf den Eingang des Mietshauses zuhielt. Er hatte die Kappe abgenommen und strich sich durchs Haar, anschließend hielt er sich die Hand vor den Mund und hauchte hinein, um seinen Atem zu prüfen. Laura hätte fast aufgelacht, so absurd fand sie mit einem Mal die ganze Situation. Sie saßen hier am Brunnen, während Valeria oben ihren Freier erwartete, der an diesem Tag nicht der erste war und es vermutlich genau wusste, aber trotzdem Wert darauf legte, dem Mädchen, das er mit vielen anderen teilen musste, zu gefallen. Valeria hatte etliche feste Freier, und jedem von ihnen wies sie einen bestimmten Tag und eine Uhrzeit zu. Der junge Mann, der soeben im Haus verschwand, kam seit ein paar Wochen regelmäßig zwei Mal im Monat, wobei er sicherlich öfter erschienen wäre, wenn er es sich hätte leisten können.
Laura fragte sich, wer der neue Freier war, den sie kennengelernt hatte. Viele reiche Männer hielten sich Kurtisanen und statteten sie mit allem aus, was das Herz begehrte, und Laura wusste, dass es immer Valerias erklärtes Ziel gewesen war, sich einen gut situierten Mann als Gönner zu angeln. »Aber ansehnlich muss er trotzdem sein«, hatte sie gesagt. »Es gibt Grenzen bei dem, was ich ertragen kann.«
Voller Unruhe ließ Laura ihre Blicke über den Campo schweifen. Sie hätte sich sicher fühlen können, so wie die meiste Zeit der vergangenen Monate, doch mit einem Mal war es ihr, als würden tausend Augen sie beobachten. An der Zisterne herrschte zu dieser Tageszeit ein einziges Kommen und Gehen. Die Leute benötigten Wasser zum Waschen und Trinken, und bei großen Familien war es mit nur einem täglichen Gang zum Brunnen selten getan.
Andere Menschen überquerten den Platz, unterwegs nach Hause oder zu ausstehenden Besorgungen. Gearbeitet wurde grundsätzlich bis Sonnenuntergang, und so lange wurde der Tag auch von den meisten ausgenutzt, um Alltagsgeschäfte zu erledigen. Niemand kümmerte sich um die drei Kinder; man hatte sie hier schon oft genug gesehen.
Dennoch war Laura außerstande, ihr Unbehagen zu unterdrücken. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, nervös ihre Finger knetend, während sie sich abermals nach allen Seiten umschaute.
Carlo musterte sie aufmerksam. »Was siehst du?«
Sie schüttelte nur hilflos den Kopf und tat ein paar Schritte rückwärts. »Ich gehe zum Rialto. Passt du bitte so lange auf Matteo auf?«
Carlo nickte wortlos, während sie sich bereits umdrehte und mit klappernden Holzschuhen loslief.
Antonio drückte sich müßig an den Häuserecken herum und beobachtete das Treiben der Passanten, wobei er sich vorzugsweise auf gut gekleidete und wohlgenährte Kaufleute konzentrierte. Manchmal folgte er einem von ihnen ein Stück weit, mit sich selbst hadernd, weil der Tag bislang so übel verlaufen war und die Aussicht, doch noch zufällig einen Beutezug unternehmen zu können, denkbar gering schien.
Verdrossen überlegte er, ob er es wohl je wagen würde, einen der Händler mit Gewalt um sein Erspartes zu bringen. Bisher hatte er davor zurückgescheut, denn er wusste, dass er damit eine besondere Grenze überschreiten würde. Jemanden zu berauben bedeutete, ihn notfalls töten zu müssen. Ein Dieb mochte, je nach Schwere und Häufigkeit seiner Taten, Nasenspitze, Ohren oder Hand verlieren, aber einem Räuber war der Tod durch die Garotte oder den Strick sicher, oder durch Ertränken im Kanal, eine Strafe, die ebenso rasch verhängt wie vollstreckt wurde.
Der Abend rückte näher, die Leute wurden mit Beginn der Dämmerung wachsamer. Auch waren bei weitem nicht so viele Menschen unterwegs wie am Nachmittag. Nur hier und da standen die Kaufleute und Warenhändler zu zweit oder grüppchenweise beisammen, in geschäftliche Unterredungen vertieft.
Im Vorbeigehen schnappte Antonio Fetzen ihrer Unterhaltungen auf, hörte sie von Erträgen und Schiffsladungen und Handelsfahrten reden, und er lauschte ihnen begierig, wie so oft von dem Drang beseelt, mehr über diese Dinge zu erfahren als lediglich das, was er durch Zufall
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