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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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greifen ins Leere. Soldaten halten mich zurück, andere ergreifen den Piraten und führen ihn weg. Er lässt sich widerstandslos fortschaffen, doch sein höhnisches Mundwerk steht nicht still:
    Â»Wärt ihr zu Hause geblieben, in eurer weichen Wattewelt, hätte kein Mensch nach euch verlangt!«, ruft er mir zu. »Was dachtest du denn, wo du hier bist? Auf einer Fünfsternesafari? Wer in Scheiße tritt, sollte sich nicht wundern, dass er stinkt. Dein Kumpel kannte die Risiken«, fährt er fort, während er zu einem Panzer geführt wird. »Und wir auch. Er ist tot, wir werden hingerichtet. Und da flennst ausgerechnet du?« Seine Kälte verbrennt mich wie Höllenfeuer. Ich schlage um mich, um ihm nachzusetzen, zu ihm durchzudringen, ihm klarzumachen, wie perfide er ist, welch eine Beleidigung er für jeden neuen Tag darstellt, für Wind und Wetter, für das Leben schlechthin. Meine Arme sind aus Rauch, mein Zorn glüht mich von innen her aus. Ich spüre förmlich, wie ich zu Asche zerfalle. Ich weiß sehr wohl, dass nichts mehr zu ändern ist, dass der wunderbare Freund, der sich tief unten in der Grube in seine Bestandteile auflöst, nichts von meinem Kummer mitbekommt – vielleicht wäre er nicht einmal einverstanden mit meinem Verhalten, aber was soll ich tun …? Am liebsten wäre ich jetzt weg, ganz weit weg, wieder in meiner Trauer als jugendlicher Witwer, würde mich in meinen vier Wänden in Frankfurt verkriechen. Am liebsten wäre ich nie an Bord dieser unseligen Yacht gegangen, nie wem auch immer begegnet. Ich wünschte mir so viel seichtes und hässliches Zeug, so viel Unsichtbarkeit auch, so viele Ozeane zwischen mir und dem Massengrab, das da den Boden unter meinen Füßen vergiftet, aber aus meinen Wünschen spricht nur meine Weigerung, der Realität ins Gesicht zu sehen; die Menschen sind das Schlimmste und Beste, was die Natur je hervorgebracht hat; die einen sterben für ein Ideal, die anderen für nichts; manche gehen an ihrer Großmut zugrunde, andere an ihrer Undankbarkeit; sie zerfleischen einander aus denselben Motiven, jeder in seinem Lager, und bei diesem schändlichen Stück gaukelt die Ironie des Schicksals ihnen so lange glückliche Vorzeichen vor, bis es sie alle, den Erleuchteten und den Umnachteten, den Tugendhaften und den Perversen, den Märtyrer und den Folterer, im selben fauligen Massengrab weiß, im ewigen Tod so untrennbar vereint wie siamesische Zwillinge im Mutterleib.
    4.
    Ich hatte gehofft, nichts aus Afrika mitzunehmen und nichts dort zurückzulassen; jetzt erst merke ich, wie naiv das von mir war. In dem kleinen Flugzeug, das mich nach Deutschland bringt, wird mir bewusst, dass ich nicht unversehrt heimkehre. Ein Teil meiner selbst ist zurückgeblieben, gefangen in der Wüste, und unten im Laderaum liegt Hans in seinem Sarg. Ich habe die Blende vor das Bullauge gezogen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie dieses Land, das mir meine Illusionen gestohlen hat, in immer weitere Ferne rückt, und versuche zu schlafen. Aber welchen Schlaf soll einer schlafen, der keine Träume mehr hat. Kaum schließe ich die Augen, bin ich mit meinen Ängsten konfrontiert. Meine Schläfen sind mit donnerndem Getöse erfüllt, in meiner Nase hängt der Geruch, der aus dem Massengrab aufstieg, und meine Lungen sind voll Staub. In Khartum habe ich über eine Stunde unter der Dusche verbracht. Habe mich bestimmt zehnmal eingeseift, ohne diese widerwärtige Kruste loszuwerden, die einmal meine Haut gewesen ist. Meine neuen Kleider kratzen wie ein Brennesselgewand. Meine Krawatte hat einen Henkersknoten, nur dass ich der Galgen bin. Mir gegenüber sitzt der Konsulatsbeamte, Gerd Bechter, hinter einer Zeitschrift versteckt. Mechanisch blättert er die Seiten um. Sein Geist ist woanders, dort, wo die Fragen sich nicht um Antworten scheren, weil bereits alles gesagt ist. Er ist mir seit Khartum nicht von der Seite gewichen. Ständig kam er in mein Hotelzimmer, unter diesem und jenem Vorwand, nur um mich im Auge zu behalten. Er fürchtete, ich könnte zusammenbrechen. Na klar, ich war ein verlorenes Phantom im Dunstkreis seiner Besorgnis, aber die harte Schule, durch die ich gegangen bin, hielt mich hellwach. Genervt von seiner aufdringlichen Fürsorge, habe ich ihn irgendwann gefragt, ob er nicht gleich das Bett mit mir teilen wolle. Er hat sich für die ständigen

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