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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Mackenroths, die aber rasch überwunden ist. Die Kanzlerin hält eine kurze, bewegende Ansprache vor der Presse, bevor sie das Mikrophon an mich weiterreicht. Ich winke ab, zur großen Enttäuschung der Reporter, die darauf bestehen, dass ich ein Statement abgebe. Was hätte ich denn schon zu sagen, noch hinzuzufügen? Unsere Geheimdienste haben mich in Khartum gründlich ausgequetscht; ich will jetzt nur noch nach Hause. Bertram erklärt sich bereit, ein paar Worte an die Journalisten zu richten. Knapp und treffend: »Für meinen Vater gelangte man nur durch Teilen zu menschlicher Reife. Er hat sein Vermögen, seine Zeit und sein Menschsein mit den Ärmsten dieser Welt geteilt, und geteilt hat er auch ihr Leid und ihre Tragödien. Hans Mackenroth hat keine halben Sachen gemacht. Er war großzügig und aufrichtig, und er versprach nur, was er auch halten konnte. Er liebte die Menschen, und viele haben es ihm mit großer Dankbarkeit vergolten. Er war ein außergewöhnlicher Mensch. Er gab sich ganz den anderen, und am Ende so sehr, dass sie ihn für immer behalten haben.«
    Ein Leichenwagen fährt vor, gefolgt von einer Kolonne Staatskarossen und schwarzer Limousinen. Die Reporter rasen zum Ausgang. Die Menge hinter der Absperrung lichtet sich, und ich entdecke Claudia Reinhardt. Sie steht neben einer Gruppe von Kameraleuten, die hektisch ihre Gerätschaften zusammenpacken, um nur ja nicht das Ende des Spektakels zu versäumen. Sie trägt ein schlichtes Kostüm und lächelt mir zaghaft zu. Gerd Bechter lädt mich ein, auf dem Rücksitz seines Wagens Platz zu nehmen. Ich teile ihm mit, dass ich sofort nach Hause will. Er versucht, mich umzustimmen; ich höre gar nicht mehr hin und bewege mich auf die Freundin meiner Frau zu, die in diesem Moment, in dem die Welt rings um mich immer leerer wird, meine ganze Familie ist.
    Eine Traube von Journalisten liegt vor meinem Haus auf der Lauer. Ich bitte Claudia, bloß nicht anzuhalten. Sie gehorcht und biegt an der nächsten Ecke ab. Sie fährt sehr unsicher. Vielleicht die Aufregung. Vorhin, als sie mich umarmt hat, ist sie in Tränen ausgebrochen. Die Worte haben ihr gefehlt. Sie hat unter Schluchzen gelacht, unter Lächeln das Gesicht verzogen und von Kopf bis Fuß gezittert. Ihr Körper so nah an meinem hat mich beruhigt. Ich war da, wirklich da, mit Haut und Haar. Ich war in meinem Land, meiner Stadt, meinem Element. Die Frankfurter Sonne hat mich mit all meinen Empfindungen versöhnt. Ich habe mich frei gefühlt, meinem ureigenen Leben zurückgegeben, und mein neuer Anzug hat mich nicht mehr gekratzt. Ich habe die Scheibe heruntergekurbelt, in tiefen Atemzügen die frische Luft eingesogen und Zug um Zug neue Kraft und Zuversicht geschöpft. Ich habe mir unterwegs alle Gebäude angesehen, sämtliche Fahrzeuge, die uns entgegenkamen, alle Grünflächen und Reklametafeln, die Straßenlaternen und den Asphalt, der unter unseren Reifen verschwand, und das Geräusch der Reifen auf dem Asphalt war es, das zum allerersten Mal überhaupt die widerlichen Stimmen und Detonationen verstummen ließ, die hinter meinen Schläfen immer noch ihre Gefechte ausfochten.
    Claudia schlägt vor, dass ich erst einmal mit zu ihr komme. Ich bin einverstanden. Die Reporter werden schon irgendwann wieder verschwinden, und dann kehre ich in meine Wohnung zurück und lerne wieder zu leben.
    Claudia wohnt im dritten Stock eines Hauses in der Frank-Walter-von-Stenbene-Siedlung, in Eckenheim, wo ich zwei Jahre vor meiner Hochzeit meine ersten Praxisräume hatte. Ich habe die Menschen in diesem Viertel sehr gemocht, aber Jessica wollte, dass ich in die Nähe ihres Firmensitzes nach Sachsenhausen zog, damit wir gemeinsam zu Mittag essen konnten. Wir waren einander sehr nah zu Beginn unserer Beziehung. Wie miteinander verschmolzen. Wir telefonierten alle naselang und wegen jeder Kleinigkeit und waren glücklich, den anderen am anderen Ende der Leitung zu wissen, sie war wie eine Nabelschnur für uns.
    Claudia geht mir voraus. Einen Aufzug gibt es hier nicht. Wir nehmen die Treppe und beeilen uns, denn ich lege keinen Wert darauf, von einem der Nachbarn erkannt zu werden. Mein Foto und das Foto von Hans waren monatelang in sämtlichen Zeitungen und auf allen Kanälen zu sehen.
    Â»Ich habe jemanden zum Putzen in dein Haus geschickt«, informiert mich Claudia, während sie an ihrem

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