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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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mit der Zange. Denn einer muss kapitulieren, wenn nicht er, dann ich.
    Ich trete meine Zigarette auf dem Gehweg aus und gehe in die Kneipe. Eine Frau steht gelangweilt hinterm Tresen, mit abwesendem Blick, das Kinn in die Hand gestützt, ohne die beiden Jugendlichen hinten im Schankraum zu beachten. Sie zuckt zusammen, als ich ein Bier und ein Käse-Sandwich bestelle. Nachdem sie mich ohne große Begeisterung bedient hat, kehrt sie in ihre Ecke zurück und überlässt sich wieder ihren Träumereien.
    Â»Gibt es hier irgendwo ein Hotel?«, erkundige ich mich.
    Sie schüttelt den Kopf.
    Ich lasse eine Banknote auf dem Tresen liegen und gehe zu meinem Auto zurück. Inzwischen ist es draußen dunkel geworden, und am Ende der Straße flackert müde eine Straßenlaterne auf. Prompt stellt sich der Gedanke an meinen Vater wieder ein, um mich erneut zu provozieren. Ich lasse mich auf den Fahrersitz sinken und denke nach. Soll ich mir ein Hotel für die Nacht suchen oder weiterfahren? Ein alter Mann mit Zeitung unter dem Arm kommt schleppenden Schrittes an mir vorbei. Er erinnert mich an Wolfgang, wie er gramgebeugt nach der Trauerfeier im Regen davongeschlichen ist. Wolfgang …! Warum steht er eigentlich nicht auf meiner Liste? War es ein Versehen, oder habe ich ihn bewusst übergangen …? Diese ganze Deutschlandfahrt macht doch keinen Sinn. All die unrealistischen Wiederanknüpfungsversuche, diese anstrengende Tour zur Sanierung von Seele und Geist, sind doch nur ein verzweifeltes Ausweichmanöver vor dem, was ich noch immer nicht wirklich akzeptieren kann. Es bringt nichts, nach einem Hotel zu suchen. Die Antwort auf meine Fragen muss irgendwo gut versteckt bei mir zu Hause sein.
    Es läutet. Schrill bohrt sich der Klingelton durch meine Schläfen. Mit meinem Brummschädel komme ich kaum aus dem Bett. Grell sticht mir das Tageslicht in die Augen. Die Sonne steht hoch am Himmel. Keine Ahnung, wie viele Stunden oder Tage ich geschlafen habe. Mit unsicheren Bewegungen und einem pelzigen Gefühl im Mund schlüpfe ich aus dem Bett, suche nach meinen Pantoffeln, finde sie nicht und laufe barfuß zur Haustür. Es ist der Briefträger. Überrascht, mich in Unterhosen und zerknautschtem Unterhemd zu erblicken, hält er mir ein eingeschriebenes Päckchen hin. Ich unterschreibe und schlage ihm die Tür vor der Nase zu. Ohne böse Absicht. Aus purem Ungeschick, weil ich noch schlaftrunken bin, aber wie unhöflich das ist, wird mir auf der Stelle klar. Schnell öffne ich die Tür wieder, um mich beim Briefträger zu entschuldigen, doch er ist schon außer Sicht. Ich schwanke in die Küche – noch immer traue ich mich nicht ins Bad –, halte meinen Kopf unter den Hahn und lasse mich vom scharfen Wasserstrahl wachpeitschen, dann kehre ich ins Schlafzimmer zurück und reiße die Verpackung auf. Ein kleines Buch kommt zum Vorschein, darin ein Brief. Es ist Black Moon , Jomas Gedichtband, gewidmet seiner »Wüstenrose Fatamou«. Im Begleitbrief schreibt Bruno:
    Mein lieber Kurt,
    ich denke jeden Tag an dich und hoffe, dass es dir gutgeht. Bei mir hat sich alles so weit normalisiert. Ich habe meine wackere Gefährtin in die Arme schließen können und wohne wieder bei ihr in Dschibuti. Sie heißt Souad, genau wie die andere, nur dass sie viel zu fett ist, um als Tänzerin durchgehen zu können, und außerdem nachts wie ein Dieselmotor schnarcht. Aber wenn sie frühmorgens aufsteht, dann geht für mich täglich neu die Sonne auf. Ich habe lange gezögert, dir Jomas Buch zu schicken. Aber ich würde es mir nie verzeihen, wenn du von Afrika weiter nichts als einen Kerker und eine Horde schwachköpfiger Idioten in Erinnerung behältst. Nicht immer wird man durch Erfahrung klug, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Oft sind jene, die das Unglück einmal besiegt haben, am wenigsten gewappnet, wenn es ein zweites Mal zuschlägt. Ich zum Beispiel glaubte, alles über Afrika zu wissen, über seine Plackereien und Schindereien, seine Kapriolen und jähen Kehrtwenden, und dennoch falle ich bei jedem falschen Schritt, den ich tue, auf die Nase wie ein Kind, das gerade erst lernt, sich auf den Beinen zu halten. Aber trotz der Fallgruben, die überall lauern, weigere ich mich zu glauben, dass Afrika nur aus Gewalt und Elend besteht, so wie ich mich weigere zu glauben, dass Joma Baba-Sy weiter nichts als ein

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