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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Menschheit …‹«
    Â»Was soll das denn heißen?«
    Â»Genau das, was es heißt, aber ich nehme an, dir steht nicht der Sinn nach Scharaden. Siehst du, Claudia, mein afrikanisches Abenteuer hat mir immerhin etwas gebracht. Dir bedeutet das nichts, aber für mich ist es elementar.«
    Â»Dann klär mich doch bitte mal auf, wie du das meinst.«
    Â»Tut mir leid, aber meine Batterien sind leer.«
    Ich beuge mich über sie hinweg und stoße die Beifahrertür auf.
    Sie kneift die Lippen zusammen, zieht missbilligend die Nase kraus und steigt aus.
    Ich gebe Gas und fahre los.
    Der Wind tollt über den Schaumainkai. Die Neonschilder projizieren flackernde Leuchtstreifen auf die Wellen. Hier und da stemmen sich einem auf den rußschwarzen Kais grüne Inseln entgegen. Ich bin zu Fuß bis zum Theodor-Stern-Kai gelaufen, dann eine Weile durch Niederrad geirrt und zuletzt wieder ans Mainufer zurückgekehrt. Claudias eigenwilliger Vorstoß liegt mir schwer im Magen, ist unverzeihlich … Ich fühle mich sehr allein. Meine Beine sind bleischwer, mein Atem brennt wie Feuer. Jessicas Phantom macht wieder Jagd auf mich. Es hinkt hinter mir her, seit ich aus dem Auto gestiegen bin. Ich bin unglaublich müde, setze aber dennoch Schritt vor Schritt, vom selben Elan getragen wie an dem Tag, an dem ich beschlossen hatte, mich lieber ins Tal der Finsternis vorzuwagen, als in Gerimas Kerker zu vermodern. Ich habe das Gefühl, dass sich in mir eine Wandlung vollzieht …
    Auf einer Uferbank sitzt ein Mann, völlig in sich zusammengesunken, und führt Selbstgespräche, während er seine am Boden verglimmende Kippe fixiert, als wär’s eine sterbende Raupe. Durch seinen zerrissenen Mantel blitzt auf Schulterhöhe das Unterhemd durch. Er sieht erst gar nicht auf, als ich an ihm vorüberkomme, sondern boxt knurrend weiter in die Luft. Ich habe so wenig Hoffnung wie er, einen Ausweg aus meiner Depression zu finden. Ich suche mir die nächste freie Bank, werfe den Kopf über die Lehne und lasse mich von Heerscharen wechselnder Visionen absorbieren, einer Art Film im Schnelldurchgang, der ein Füllhorn von Momentaufnahmen über mir ausschüttet: Jessica am Strand, Jessica im Wald, Jessica, wie sie aus einem Hotel kommt, sich auf einer sonnigen Terrasse räkelt, nach einem gelben Taxi ruft, im Flugzeug sitzt, mich auf die Lippen küsst. Die Bilder rasen an mir vorbei, lösen neue Bildserien aus, schieben sich übereinander, als wären sie völlig von der Rolle. Mein Schädel brodelt vor Geräuschen, Stimmen, Lachen, Gläserklirren, Klappern von Stöckelschuhen auf Marmorplatten, Wellenrauschen auf weißem Sandstrand. Bis sich alles um mich dreht. Warum …? Der Mann auf der Nebenbank fährt auf. Da erst merke ich, dass ich laut schreie.
    Am nächsten Tag kehre ich Frankfurt erneut den Rücken. Ich fahre hinaus aufs Land, in mein Ferienhaus, in der Annahme, die Ruhe in der Natur und die frischen Wälder würden mir guttun, mich aufheitern … Ich sollte mich täuschen. Mein »Exil« würde alles nur noch verschlimmern.
    Die Tage zerrinnen in einem Rausch der Leere. Ich habe zu nichts Lust. Weiß nichts mit meiner Zeit anzufangen. Bleibe manchmal den ganzen Tag im Sessel sitzen und starre an die Wand, an der mein Schweigen zerschellt. Ich fühle mich wie vom Leben abgehängt, bin mir selbst vollkommen fremd. Ab und zu ertappe ich mich mit der Nase an der Scheibe, in den Anblick des regennassen Waldes versunken, ohne ihn zu sehen. Wenn ein Wanderer auf der Lichtung erscheint, gehe ich hinaus, will mit ihm reden. Doch kaum bin ich draußen, ist der Wanderer schon wieder weg; nur sein gezackter Schuhabdruck auf dem matschigen Waldboden zeigt mir an, dass ich nicht geträumt habe. Heute früh hat ein Auto am Ende des Weges geparkt. Ich hatte gehofft, das sei Claudia, aber es war nicht Claudia. Erst jetzt wird mir klar, wie furchtbar ungerecht ich zu ihr war … Das Alleinsein ist schlimmer als jedes Zerwürfnis. Gestern Abend bin ich zwischen den Bäumen umhergelaufen. Und habe mich von der grauen Tristesse anstecken lassen. Bin todtraurig ins Haus zurückgekehrt. Habe Feuer im Kamin gemacht und mich so nah an die Flammen gesetzt, dass meine Kleider zu dampfen begonnen haben. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchte das Bild des trauernden Greises vor mir auf, der vor seiner brennenden Strohhütte

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