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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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siehst du?«
    Sie wägt sorgsam ihre Worte und gesteht:
    Â»Einen Mann, der Furchtbares hinter sich hat und sich weigert, nach vorne zu schauen.«
    Â»Und wie ist er, dieser Mann, der Furchtbares hinter sich hat und sich weigert, nach vorne zu schauen?«
    Mein ständiges Gegenfragen bringt sie aus der Fassung. Dass ich nicht lockerlasse, empfindet sie als böswillige Schikane, und die trifft sie ohne jede Vorwarnung. Sie überlegt in Windeseile, was sie tun kann, um zu verhindern, dass die Situation eskaliert. Mich derart argwöhnisch und angriffslustig zu erleben, damit hat sie garantiert nicht gerechnet. Als sie heute Morgen anrief, um mich ins Restaurant einzuladen, habe ich geduldig gewartet, bis sie wieder aufgelegt hat. Erst danach bin ich zu meinen Dämonen zurückgekehrt. Das Alleinsein kommt mir gerade zupass. Ich führe endlose Selbstgespräche, diskutiere mit mir nach Gutdünken, erwäge Argumente und Gegenargumente ohne lästige Widerrede. Seit einigen Wochen lebe ich nun schon so, in meinem Haus verschanzt, bringe meine Zeit damit zu, mich in der Luft zu zerreißen, und diese Übung ohne feste Regeln passt prächtig zu meiner momentanen Befindlichkeit. Ich bin Angeklagter und Richter in einem und mache mir selbst mit souveräner Freiheit den therapeutischen Prozess. Auf eine Weise ertrage ich es nicht mehr, die anderen reden zu hören. Ihre dreiste Aufdringlichkeit drückt meiner ganzen Person den Stempel des Minderwertigen auf. Allein kann ich mir alles sagen und alles verwerfen, ohne meine Worte abwägen oder unter ihnen leiden zu müssen; ich bin in meinem ureigenen Element, und das will ich keinem enthüllen, es mit niemandem teilen.
    Claudia denkt eine Weile über meine Frage nach und seufzt am Ende nur kleinlaut:
    Â»Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll.«
    Â»Dann halt doch einfach den Mund.«
    Sie dürfte sich fragen, warum ich so überreagiere. Da mein ruppiges Benehmen in ihren Augen durch nichts gerechtfertigt ist, erwidert sie kalt:
    Â»Den Krieg hast du in Afrika gelassen, Kurt, aber die Misere hast du dir mitgebracht.«
    Â»Du warst noch nie in Afrika, Claudia. Was weißt du schon?«
    Â»Ich weiß, wie Afrika einen Menschen zugerichtet hat.«
    Â»Dieser Mensch hat Dinge gesehen, die du nie zu Gesicht bekommen wirst.«
    Â»Ich bin ja nicht blind«, verteidigt sie sich. »Du bist derjenige, der hier verblendet ist … Weißt du noch, neulich im Restaurant, als der betrunkene Penner vor uns stehen geblieben ist und uns mit seinen hungrigen Augen beim Essen zugesehen hat, bis ihn der Kellner davongejagt hat? Du hast deine Gabel auf den Tisch gelegt, dir den Mund abgewischt, und dann, was hast du gemacht? Du hast verärgert den Kopf geschüttelt, dir ein Bier bestellt und weitergegessen, als ob nichts wäre.«
    Â»Das ist nicht dasselbe.«
    Â»Das ist sehr wohl dasselbe, Kurt. Nur dass die Welt in diesem Restaurant auf uns vier reduziert war, dich, den Bettler, den Kellner und mich. Aber so geht es auf dem ganzen Planeten zu, nur in größerem Maßstab. Die Welt ist nun mal so, und niemand kann das ändern. Manche Völker leiden Not, andere schlagen sich gerade so durch. Das liegt in der Natur der Sache. Keiner muss das Unglück anderer auf sich nehmen, jeder, ob arm oder reich, hat seinen Part. Glück oder Pech, beides stellt den Menschen auf eine harte Bewährungsprobe. Weißt du, die Natur hat ihre Prinzipien: Dem Tausendfüßler wirft doch auch keiner vor, dass er so viele Füße hat, dass er nicht weiß, wohin damit, während der Wurm noch nicht mal eine Kralle hat, mit der er sich kratzen kann. Und glaubst du vielleicht, der Truthahn hält dem Rebhuhn Unredlichkeit vor, nur weil es auffliegt, wenn der Fuchs sich nähert, während er wie ein Trottel hocken bleibt? In dem, was in unseren Augen ungerecht ist, Kurt, verbirgt sich durchaus eine Ethik. Die eigentliche Frage ist, soll man es akzeptieren oder gar nicht erst hingucken? Dein Problem besteht darin, dass du glaubst, du verkörperst die Moral, obwohl du weder das Gewicht noch das Format dafür hast. Du bist nur eines von sieben Milliarden Individuen und nicht qualifizierter als alle anderen, auf eine Gleichheit zu pochen, die von Natur aus nicht vorgesehen ist.«
    Â»Ein afrikanisches Sprichwort sagt: ›Wer nicht weiß, dass er nichts weiß, ist eine Gefahr für die

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