Die Landkarte der Liebe
als Sandkörner auf der Erde gibt.«
»In London sind sie mir nie aufgefallen.« Wie auch, dachte Mia, bei all den StraÃenlaternen, Scheinwerfern, grell erleuchÂteten Büros und den Millionen von Wohnungen. In London war es jetzt Vormittag, und Katie saà bestimmt mit ernster Miene vor einem Monitor an ihrem Schreibtisch. »Ich wünschte, Katie könnte das hier sehen.«
Finn stützte sich auf die Ellbogen. »Fehlt sie dir?«
»Manchmal ja.« Das sehnsüchtige Ziehen in ihrem Herzen überraschte sie.
»Willst du mit ihr nicht über Harley sprechen?«
Mia schüttelte den Kopf. Ihr war schwindelig von dem Rum. »Ich will nicht, dass sie es erfährt. Dass wir Halbschwestern sind.«
»Wieso?«
»Das schwächt uns.«
»Was meinst du damit?«
Dem Alkohol war es immer gelungen, bis in Mias verschlossenste Kammern vorzudringen und sämtliche Schleusen zu öffnen. Auch diesmal strömten die Gefühle aus ihr heraus. »Mum hatte eine Affäre. Glaubst du, dass Katie das erfahren will? Wir haben verschiedene Väter. Das treibt den kläglichen Rest von unserer Familie doch noch weiter auseinander.« Sie seufzte. »Und auÃerdem würde sie dann alles über Harley wissen wollen.«
»Ja, und?«
»Und dann müsste ich ihr alles erzählen: Dass er getrunken und Drogen genommen hat, dass er sich oft in sich zurückgezogen hat und dann wieder vollkommen auÃer Kontrolle geraten konnte, dass seine Freunde und seine Familie ihn irgendwann ganz aufgegeben haben. Und dabei würde sie mich die ganze Zeit mit ihm vergleichen.«
»Du musst den Gedanken loslassen, Mia. Du hast überhaupt keine Ãhnlichkeit mit Harley.«
»Nicht?« Sie musste an eine weitere dunkle Parallele denken. »Harley hatte eine Affäre mit der Frau seines Bruders.«
»Genau. Und du â«
»Ich hab mit Ed geschlafen.«
»Was?« Finn richtete sich auf. »Wann?«
»Ungefähr ânen Monat, bevor wir gefahren sind.«
»Hast du ⦠mögt ihr euch?«
»Nein!«
»Weià Katie davon?«
Mia schüttelte den Kopf.
»Wirst du es ihr erzählen?«
Mia setzte sich auf, in ihrem Kopf drehte sich alles. Sie presste eine Hand gegen die Stirn, als ob sie ihre Gedanken damit zum Stillstand bringen könnte. »Sie liebt ihn.«
Schweigen. SchlieÃlich: »Warum hast du es dann getan?«
»Ich war wütend.«
»Wütend?«
»Auf Katie. Auf dich.«
»Mia?«
In ihr kochte die Wut hoch bis in die Kehle. »WeiÃt du, wie das ist, wenn man eine ältere Schwester wie Katie hat? Es ist, als würde man ständig im Schatten stehen. Jeder Junge in der Schule war in sie verknallt. Sie war die Beliebte, die Kluge, diejenige, die immer alles richtig macht.«
»Ach komm, das ist doch nicht â«
»Erinnerst du dich noch an Mark Hayes? Er war zwei Jahre über uns und hat das Sportstipendium für Ranford Manor bekommen.«
»Ja.«
»Er war vier Wochen mit mir zusammen, aber nur, damit er zu uns nach Hause kommen und Katie angaffen konnte. Und ich hab es mir auch noch gefallen lassen.«
Finn sagte nichts.
»Du warst der Einzige, der mich gesehen hat.« Der Wind wehte von der See her und fuhr ihr durch das Haar. »Und dann, eines Tages, warst auch du mit Katie zusammen.«
Er sah auf seine Hände.
»Du bist mein bester Freund. Sie ist meine Schwester. Aber keiner von euch beiden hat es mir erzählt. Einen ganzen Monat nicht.«
»Es tut mir leid, wir hatten â«
»Dafür hab ich sie gehasst. Ganz ehrlich.«
Mia wusste es noch wie heute. Sie war bei ihrer Mutter gewesen und hatte zum ersten Mal von der Krebserkrankung erfahren. Sie war auf das karierte Sofa gesunken. Katie hatte heftig geweint und das ganze Paket Taschentücher in ihrer Handtasche aufgebraucht. Mias Augen waren trocken geblieben. Dann war Finn gekommen. Er hatte sich an den Kaminofen gestellt und ihr merkwürdiges Dreieck vervollständigt. Er hatte sich die Prognose angehört, dabei mit dem Fuà gewippt. Dann war es einen Augenblick lang vollkommen still geworden, seine Blicke waren hin und her geirrt, weil er nicht wusste, wen er zuerst trösten sollte: Katie, mit ihrem tränenverschmierten Gesicht, oder Mia, mit ihrer versteinerten Miene.
Mia hatte schlieÃlich das Haus verlassen, damit er sich nicht
Weitere Kostenlose Bücher