Die Landkarte der Zeit
leicht als einen dünkelhaften jungen Mann vorstellen, der sein größtes Vergnügen darin fand, jedem Mädchen in seiner Nähe
mit großspurigen Worten und dreisten Reden den Kopf zu verdrehen. Claire ging zwar nicht allzu oft auf Feste, doch junge Leute
dieses Schlages hatte sie genügend kennengelernt; hochmütige, schlecht erzogene Burschen, denen das Vermögen der Eltern eine
wilde, exzentrische Jugend erlaubte, die sie möglichst lange auszudehnen suchten, obwohl dieser Winslow sich anscheinend entschlossen
hatte, zur Vernunft zu kommen. Das Letzte, was sie von ihm gehört hatte, war, dass er eine der äußerst wohlhabenden Keller-Schwestern
geheiratet hatte, was für viele junge Londoner Damen, zu denen sie selbstverständlich nicht gehörte, Grund zu großer Niedergeschlagenheit
gewesen war. Jetzt, da sie |288| ihn vor sich sah, musste sie zugeben, dass er tatsächlich ein gutaussehender junger Mann war, was seine ungebetene Anwesenheit
zumindest erträglicher machte.
«Wir sprachen gerade darüber, wie aufregend das alles ist», riss der unaufhaltsame Ferguson das Gespräch wieder an sich. «In
wenigen Minuten werden wir London in Trümmern sehen, doch wenn wir wieder zurück sind, werden wir die Stadt so unversehrt
vorfinden, als wäre nichts geschehen; was ja auch stimmt, wenn wir die Zeit als eine geordnete Abfolge von Ereignissen betrachten.
Ich bin sicher, dass dieser schreckliche Anblick uns helfen wird, unsere lärmende Stadt wieder schätzen zu lernen. Meinen
Sie nicht?»
«Nun, man muss schon ein sehr schlichtes Gemüt haben, um es so zu sehen», antwortete Charles zerstreut und ihm kaum einen
Blick gönnend.
Einen Moment herrschte Stille. Ferguson schleuderte einen wütenden Blick auf Winslow, wusste aber nicht, ob er sich aufregen
sollte.
«Was wollen Sie damit andeuten, Mr. Winslow?», fragte er schließlich.
Charles betrachtete noch einige Sekunden lang die Decke, als frage er sich, ob dort oben die Luft, wie auf den Gipfeln der
Berge, reiner sei als bei ihnen unten.
«Ins Jahr 2000 reisen ist was anderes, als die Niagarafälle zu besuchen», antwortete er unbekümmert, als sei er sich der Beleidigung,
die er Ferguson zugefügt hatte, gar nicht bewusst. «Wir reisen in die Zukunft, in eine Welt, die von Maschinen beherrscht
wird. Sie können das vielleicht einfach vergessen, wenn Sie von Ihrem touristischen Spaziergang zurück sind, weil Sie denken,
dass Sie das nichts angeht; |289| aber das ist die Welt, in der unsere Enkelkinder leben werden.»
Ferguson starrte ihn fassungslos an.
«Wollen Sie damit sagen, dass wir Partei ergreifen, dass wir uns an diesem Krieg beteiligen sollten?», fragte er sichtlich
empört, als hätte man ihm vorgeschlagen, beim Ausgraben von Leichen auf einem Friedhof mitzumachen.
Charles würdigte sein Gegenüber zum ersten Mal eines Blickes, wobei ein spöttisches Lächeln um seine Lippen spielte. «Sie
sollten die Dinge in einem größeren Zusammenhang sehen, Mr. Ferguson», sagte er tadelnd. «Wir brauchen in diesem Krieg nicht mitzukämpfen, es reichte schon, ihn zu verhindern.»
«Ihn verhindern?»
«Ja, verhindern. Ist die Zukunft etwa nicht immer ein Ergebnis der Vergangenheit?»
«Sie bleiben mir unverständlich, Mr. Winslow», entgegnete Ferguson kalt.
«Der Ursprung dieses schrecklichen Krieges findet sich hier», erklärte Charles mit einer vagen Kopfbewegung in die Runde.
«Es liegt in unserer Hand, das Kommende zu verhindern, die Zukunft zu ändern. Im Grunde sind wir verantwortlich für diesen
Krieg, der London in Schutt und Asche legen wird. Aber ich fürchte, dass dies für den Menschen, selbst wenn er sich dessen
bewusstwürde, immer noch kein hinreichender Grund wäre, die Produktion von Maschinenmenschen einzustellen.»
«Aber das ist doch lächerlich. Schicksal ist Schicksal», protestierte Ferguson, «das kann man nicht ändern.»
«Schicksal ist Schicksal …», wiederholte Charles spöttisch. «Glauben Sie das wirklich? Wollen Sie die Verantwortung |290| für Ihr Tun tatsächlich in die Hände des mutmaßlichen Autors dieses Librettos legen, in dem eine Rolle einzunehmen wir seit
unserer Geburt gezwungen sind?» Claire erstarrte, als Charles sich mit fragendem Blick an seine Zuhörer wandte. «Nun, ich
nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass unser Schicksal nicht geschrieben steht. Wir selbst sind es, die es Tag für Tag
mit jedem Akt unseres Tuns niederschreiben. Wir
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