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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Einmischung zu verbergen.
    «Ein völlig unhaltbarer Gedanke, Mr.   Winslow», entgegnete er zornig. «Es ist eine lächerliche Vorstellung, dass ein Mensch aus der Zukunft uns besuchen könnte.»
    |293| «Warum?», fragte Charles belustigt. «Wenn wir in die Zukunft reisen können, warum sollten dann die Menschen der Zukunft nicht
     in die Vergangenheit reisen können, zumal ihre Wissenschaft vermutlich weiter fortgeschritten sein wird, als unsere es ist?»
    «Ganz einfach, weil sie dann bereits hier wären», antwortete Ferguson, als handle es sich um das Offensichtlichste der Welt.
    Charles lachte.
    «Und warum glauben Sie, dass sie es nicht sind? Vielleicht wollen sie nur nicht erkannt werden.»
    «Das ist doch absurd!», empörte sich Ferguson, dem schon die Halsader schwoll. «Wenn sie aus der Zukunft kämen, bräuchten
     sie sich nicht zu verstecken. Sie könnten uns auf tausenderlei Weise helfen, indem sie uns zum Beispiel neue Medikamente brächten
     oder unsere Erfindungen verbesserten.»
    «Vielleicht würden sie es vorziehen, uns auf unauffälligere Weise zu helfen. Können Sie sicher sein, dass Leonardo da Vinci
     die Konstruktionszeichnungen eines Flugapparats oder eines Unterseeboots nicht nach den Anweisungen eines Zeitreisenden angefertigt
     hat oder dass er selbst ein Mensch der Zukunft war, der den Auftrag hatte, sich ins   XV. Jahrhundert zu begeben, um den Fortschritt der Wissenschaft zu beschleunigen? Interessante Frage, meinen Sie nicht?»,
     fragte Charles die Umstehenden, dabei den Tonfall Fergusons imitierend. «Möglicherweise haben Zeitreisende auch eine ganz
     andere Absicht, die da wäre, den Krieg zu verhindern, den wir alle in wenigen Minuten beobachten können.»
    Ferguson schüttelte unwillig den Kopf, als hätte Charles |294| ihn zu überzeugen versucht, dass Christus kopfüber gekreuzigt worden wäre.
    «Vielleicht bin ich selbst einer von ihnen», ließ Charles sich jetzt mit unheilvoller Stimme vernehmen. Er trat einen Schritt
     auf Ferguson zu und griff dabei unter seine Jacke. «Vielleicht hat Hauptmann Shackleton persönlich mich mit der Mission beauftragt,
     Nathan Ferguson, dem größten Spielzeugfabrikanten Londons, einen Dolch in den Leib zu rammen, damit er aufhört, immer bessere
     und modernere mechanische Puppen herzustellen.»
    Ferguson sprang entsetzt zurück, als Charles’ Zeigefinger sich in seinen Bauch bohrte.
    «Aber   … ich stelle doch nur mechanische Pianos her», stammelte er, kreidebleich geworden.
    Charles brach in Gelächter aus, woraufhin ihn Madelaine höflicherweise mit einer tadelnden Bemerkung bedachte.
    «Ach komm, meine Liebe», sagte Charles, der sich wie ein Kind über die allgemeine Fassungslosigkeit zu freuen schien und dem
     Fabrikanten jetzt auch noch freundschaftlich in den Bauch boxte, «Mr.   Ferguson weiß doch, dass ich das im Scherz gesagt habe. Von Pianolas werden wir doch nichts zu befürchten haben. Oder?»
    «Selbstverständlich nicht», stotterte Ferguson und suchte seine Haltung zurückzugewinnen.
    Claire musste ein Lachen unterdrücken. Charles, dem dies nicht verborgen geblieben war, zwinkerte ihr zu, als er den Arm seiner
     Frau ergriff und die Gruppe verließ, um, wie er sagte, den Segnungen des Punsches zuzusprechen. Ferguson atmete sichtlich
     erleichtert auf.
    «Ich hoffe, Sie können den Zwischenfall entschuldigen, meine Lieben», sagte er und versuchte, sein gelecktes Lächeln |295| wiederherzustellen. «Wie Sie sicherlich wissen, ist der junge Winslow für seine Dreistigkeiten in der ganzen Stadt bekannt.
     Würde ihn nicht der Reichtum seines Vaters schützen   …»
    Allgemeines Gemurmel unterbrach seine Rede, und alle wandten sich der Bühne am Ende des Saals zu, die in diesem Augenblick
     von Gilliam Murray betreten wurde.

|296| XIX
    Er war zweifellos einer der größten Männer, die Claire jemals gesehen hatte. Nach dem Knarren seiner Schuhe auf den Bühnenbrettern
     zu urteilen, durfte er über hundertdreißig Kilo wiegen; aber er bewegte sich mit Anmut, sogar mit sinnlichem Zartgefühl. Er
     trug einen eleganten malvenfarbenen Glitzeranzug, das gewellte Haar streng nach hinten gekämmt und eine Schleife von erlesenem
     Geschmack um den kräftigen Hals. Er legte seine riesigen Hände, die Bäume mit der Wurzel hätten ausreißen können, auf das
     Pult und wartete mit wohlwollendem Lächeln, bis das Stimmengemurmel im Saal erstarb. Als sich die Stille wie ein weißes Laken,
     mit dem man die Möbel einer

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