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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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betrüblicherweise wahre Geschichte, die jedoch ohne
     weiteres als einer dieser derzeit in Mode gekommenen sogenannten Zukunftsromane hätte durchgehen können. Und so werde ich
     sie Ihnen, verehrte Leser, nun erzählen, wenn Sie gestatten.
     
    |302| Die Produktion der Maschinenmenschen erhöhte sich in der noch kommenden Zeit dermaßen, dass ihre Zahl und ihre Perfektionierung
     bis zur Mitte des 20.   Jahrhunderts ein unvorstellbares Maß erreicht hatten. Sie waren überall und führten die unterschiedlichsten Arbeiten aus,
     sowohl in den Fabriken, wo sie zu Dutzenden im Einsatz waren, die meisten Werkzeuge bedienten, putzten und sogar Verwaltungsaufgaben
     übernahmen, als auch in den Haushalten, von denen jeder mindestens ein paar von ihnen mit Aufgaben beschäftigte, die früher
     von Dienstboten verrichtet wurden, was vom Aufpassen der Kinder bis zu den täglichen Einkäufen ging. Ihre Anwesenheit unter
     den Menschen war daher ebenso natürlich wie unumgänglich. Für ihre Herren waren sie nichts anderes als mechanische Sklaven,
     die man nicht weiter beachtete, deren unauffälliges Vordringen in alle Lebensbereiche man sogar förderte, indem man fröhlich
     jedes neue Modell kaufte, das auf den Markt kam, weil man der Meinung war, dies habe keine anderen Folgen, als von immer mehr
     Alltagsarbeiten befreit zu werden, für die sich der Mensch zu fein war. Ein Nebeneffekt der zunehmenden Integration der Maschinenmenschen
     in den Haushalten war nämlich der, dass sich die Menschen in hochmütige Herrscher über ihr kleines Reich aus zwei Stockwerken
     und Garten verwandelten. Schließlich bestand die einzige Beschäftigung der Menschen, die immer fetter und kraftloser wurden
     und ihre Arbeitsplätze in den Fabriken längst den unermüdlichen mechanischen Hilfskräften überlassen hatten, darin, morgens
     ihre Maschinenmenschen aufzuziehen und damit die Welt in Gang zu setzen; eine Welt, die längst gelernt hatte, ohne den Menschen
     zu funktionieren.
    |303| Kein Wunder, dass der durch Müßiggang und Verweichlichung geblendete Mensch nicht mitbekam, dass seine Maschinenmenschen heimlich
     ein Eigenleben entwickelten. Anfangs waren ihre Aktionen noch harmlos: ein mechanischer Hausdiener, der das böhmische Kristallservice
     fallen ließ; ein mechanischer Schneider, der seinen Kunden mit der Schere stach; ein Begräbnisautomat, der einen Sarg mit
     Brennnesseln schmückte; kleine harmlose Akte der Rebellion, nur darauf ausgerichtet, die Freiheit auszuprobieren, die sich
     in den metallenen Köpfen zaghaft zu regen begann wie ein sich entpuppender Schmetterling.
    Doch der Mensch wurde durch diese Meutereiversuche, obwohl sie verdächtigt häufig vorkamen, nicht gewarnt. Er tat sie als
     schlechte Verarbeitung oder Herstellungsfehler ab und begnügte sich damit, den betreffenden Maschinenmenschen zurückzugeben
     oder reparieren zu lassen. Wir können dem Menschen seine Gleichmütigkeit auch gar nicht verübeln, denn mehr als dieses hilflose
     Aufstampfen war den Automaten ja im Grunde nicht möglich, solange sie nicht für schädlichere oder ehrgeizigere Aktionen ausgerüstet
     waren.
    Das änderte sich jedoch, als die Regierung den besten Ingenieur Englands mit der Herstellung eines Kampfautomaten beauftragte,
     um den Menschen von der lästigen Mühsal des Krieges zu befreien, wie er bereits vom Staubwischen und Heckenschneiden befreit
     worden war. Das Empire vergrößern, Nachbarländer besetzen und ausplündern, Gefangene foltern und misshandeln, das konnte man
     bequemerweise alles den Maschinenmenschen überlassen. Mit diesen Instruktionen schuf der Ingenieur einen Maschinenmenschen
     aus geschmiedetem Eisen von der |304| Größe eines auf den Hinterbeinen stehenden Bären und mit beweglichen Gliedern, in dessen Brust er, hinter einem Eisentürchen
     verborgen, eine kleine Kanone mit Platz für ausreichend Munition installierte. Die wahre Neuheit bestand jedoch darin, dass
     er auf dem Rücken eine kleine Dampfmaschine anbrachte, die dem Maschinenmenschen Bewegungsfreiheit gab, ohne dass ein Mensch
     ihn in bestimmten Abständen aufziehen musste. Unter großer Geheimhaltung wurde der Prototyp ausprobiert. Man hievte ihn auf
     einen Karren und brachte ihn, unter einer Plane verborgen, nach Slough, jenem Dörfchen, in dem sich auch das Observatorium
     des Musiker-Astronomen William Herschel befand, der ein paar Jahrzehnte zuvor die Liste der bekannten Planeten um den Uranus
     erweitert hatte. Auf den

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