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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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drei Meilen, die das Dorf vom benachbarten Windsor trennten, wurden zahlreiche Vogelscheuchen mit
     Köpfen aus Kürbissen, Melonen und Blumenkohlköpfen aufgestellt, dann ließ man den Maschinenmenschen die Strecke ablaufen und
     erprobte seine verborgene Waffe gegen die ihm auflauernden Gemüsemenschen. Der Maschinenmensch erreichte sein Ziel in einer
     Wolke von Fliegen, die von dem Fruchtfleisch der Melonen angezogen worden waren, das seine Rüstung von oben bis unten bedeckte
     – und keine Vogelscheuche auf dem ganzen Weg, die noch einen Kopf auf den Schultern gehabt hätte. Daraus zog man den Schluss,
     dass ein Heer von solchen unbesiegbaren Automaten durch die feindlichen Linien ziehen würde wie ein Messer durch weiche Butter.
     Als Nächstes wurde dieser Roboter dem König als die ultimative Waffe vorgeführt, die es ihm ermöglichen würde, die Welt zu
     erobern, so dieses Seiner Majestät Wunsch wäre.
    |305| Aufgrund des vollen Terminkalenders des Monarchen verschob sich die Vorführung jedoch um einige Wochen, in denen der Maschinenmensch
     in einem Lagerhaus abgestellt wurde, was fatale Folgen nach sich ziehen sollte. Während der langen Abgeschlossenheit erwachte
     er nämlich nicht nur zum Leben, ohne dass es jemand bemerkte, sondern fand außerdem noch Zeit und Muße, sich eine Art Seele
     mit all ihren Hoffnungen, Ängsten und sogar mit eisernen Prinzipien zu erschaffen. Als er schließlich dem Monarchen vorgeführt
     wurde, hatte der Maschinenmensch lange genug grübeln können, um zu wissen, was er vom Leben erwartete. Und falls er sich nicht
     ganz darüber im Klaren war, verschwanden doch die letzten Zweifel, als er den kleinen Mann vor sich sah, der sich auf seinem
     Thron rekelte und ihn herablassend musterte, während er sich ein ums andere Mal die goldene Krone aus der Stirn schob. Der
     Ingenieur ging im Saal auf und ab, wobei er die Vortrefflichkeit des Maschinenmenschen rühmte und die verschiedenen Arbeitsvorgänge
     bis zur Fertigstellung schilderte, dann trat er an ihn heran und zog das Türchen der Brustöffnung auf, als hätte er es mit
     einer Kuckucksuhr zu tun. Der Monarch, der zu den Erklärungen des Ingenieurs gelangweilt genickt hatte, richtete sich in seinem
     Thronsessel auf und starrte neugierig auf den Maschinenmenschen, als erwarte er, ein fröhlich zwitscherndes Vögelchen aus
     dessen Innerem hervorhüpfen zu sehen. Heraus kam jedoch nur der Hauch des Todes in Gestalt einer zielsicher abgefeuerten Kugel,
     die ein Loch in der Stirn des Königs hinterließ. Der Einschlag warf ihn in den Thronsessel zurück, und das Geräusch von splitternden
     Knochen unterbrach die Aufzählungen des Ingenieurs, der offenen Mundes das Werk |306| seiner Schöpfung anstarrte, bevor diese ihn bei der Kehle packte und ihm das Genick brach, wie man einen trockenen Zweig zerbricht.
     Nachdem der Maschinenmensch sich vergewissert hatte, dass das von seinem Arm herabbaumelnde Wesen nicht mehr als ein Sack
     Knochen war, warf er es gleichgültig von sich. Er war sehr zufrieden mit der Kreativität seines frisch erworbenen Gehirns,
     zumindest was das Töten anging. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er der einzige im Thronsaal verbliebene lebende Organismus
     war, näherte er sich dem Monarchen mit seinen tapsenden Stelzenfüßen, nahm ihm die Krone ab und setzte sie sich feierlich
     auf das eiserne Haupt. Dann betrachtete er sich von allen Seiten in den Spiegeln, die überall im Thronsaal hingen, und da
     er nicht lächeln konnte, nickte er zustimmend mit dem Kopf. Auf diese etwas blutrünstige Weise trat er ins Leben; denn wenn
     er auch nicht aus Fleisch und Blut bestand, so hegte er doch nicht den geringsten Zweifel, dass er ein lebendiges Wesen war.
     Um sich noch mehr als ein solches zu fühlen, brauchte er als Nächstes einen Namen. Einen königlichen Namen. Er dachte kurz
     nach und beschloss dann, sich Salomon zu nennen. Dieser Name sagte ihm doppelt zu, weil er einerseits einem legendären König
     gehörte, der andererseits aber auch der erste Mensch gewesen war, der eine mechanische Apparatur besessen hatte. In der Bibel
     und in einigen arabischen Texten hieß es, Salomons Thron sei ein mit magischen Kräften ausgestattetes Möbelstück gewesen,
     das den Machtbeweisen des Monarchen einen Hauch von Zirkus verliehen habe. Auf einem über mehrere Stufen zu erreichenden Podest,
     flankiert von zwei Löwen aus massivem Gold, die mit ihren Schwänzen auf den Boden klopften, und

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