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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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längst getan hatten. Er hatte
     ein ganzes Jahrhundert durchquert, um die Maschinerie ihrer Romanze anzuwerfen, um zu entfesseln, was bereits geschehen war,
     aber noch nicht stattgefunden hatte. Die Kleine schien zu dem gleichen Schluss zu kommen. Welche Alternative hatte sie denn?
     Ihr bisheriges Leben weiterleben und einen ihrer Verehrer heiraten? Jetzt |411| hatte sie die Möglichkeit, das wirklich werden zu lassen, wovon sie schon als Kind geträumt hatte: eine Liebe, größer als
     das Leben; eine Liebe jenseits aller Zeit. Wenn sie diese Gelegenheit nicht wahrnahm, wäre das so, als hätte sie sich ihr
     ganzes Leben lang belogen.
    «Das schönste Erlebnis meines Lebens», lächelte sie. «Das habe ich wirklich geschrieben?»
    «Ja», antwortete Tom ohne jedes Zögern. «Genau das waren deine Worte, Claire.»
    Sie schaute ihn unentschlossen an. Sie konnte doch nicht einfach so mit einem völlig Fremden ins Bett gehen. Andererseits
     war dies ein Ausnahmefall: Wenn sie sich ihm nicht hingab, würde das ungeahnte Folgen für das Universum haben. Sie musste
     sich opfern, um die Welt zu retten. Aber handelte es sich überhaupt um ein Opfer? Liebte sie ihn denn nicht? War dieser Gefühlstumult,
     den jeder seiner Blicke in ihrer Brust hervorrief, etwa keine Liebe? Nein, es konnte nichts anderes sein. Dieses Gefühl, das
     sie von innen her strahlen und ihre Knie zittrig werden ließ, konnte nur Liebe sein. Hauptmann Shackleton hatte ihr versichert,
     dass sie sich heute lieben würden und sie ihm danach wundervolle Briefe schrieb. Warum sollte sie sich dem verweigern, wenn
     es doch das war, was sie sich eigentlich ersehnte? Aus dem einfachen Grund etwa, dass sie es ja schon getan hatte, dass sie
     auf den Spuren einer anderen Claire wandelte, die ja letzten Endes sie selbst war? Weil sie spürte, dass es kein aufrichtiger
     Wunsch war, wegen des unangenehmen Beigeschmacks von Unvermeidlichkeit, der einer Handlung innewohnte, die eigentlich spontan
     hätte sein sollen? Je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger fand sie einen haltbaren Grund, sich einer Sache |412| zu verweigern, die sie sich von ganzem Herzen wünschte. Weder Lucy noch sonst eine ihrer Freundinnen würden es gutheißen,
     sich einem völlig Fremden hinzugeben. Und genau dies gab den Ausschlag. Ja, sie würde mit Hauptmann Shackleton schlafen und
     sich dann den Rest ihres Lebens nach ihm sehnen, ihm wunderschöne lange Briefe schreiben, getränkt mit ihrem Parfum und ihren
     Tränen. Sie wusste, dass sie stark und ausdauernd genug sein würde, das Feuer einer Liebe zu bewahren, auch wenn sie den Menschen,
     der es entzündet hatte, niemals wiedersehen sollte. Es war offenbar ihre Bestimmung. Eine außergewöhnliche Bestimmung, ein
     unwiderstehlich tragisches Schicksal, das dennoch sehr viel angenehmer zu ertragen sein würde als die langweilige Ehe mit
     einem ihrer faden Verehrer. Sie zwang sich zu einer entschlossenen Miene.
    «Ich hoffe, Ihr Mannesstolz hat Sie nicht übertreiben lassen, Hauptmann», scherzte sie.
    «Ich fürchte, es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden», antwortete Tom lächelnd.
    Dass Claire ihre Entscheidung auf diese heitere Art kundgetan hatte, erleichterte Tom enorm. Er würde ihren Körper zwar nur
     durch niederträchtige Tricks in Besitz nehmen können und dann für immer aus ihrem Leben verschwinden, aber dass sein ehrloses
     Verhalten, obwohl er eigentlich immer noch der Meinung war, dass diese hochmütige junge Dame nichts anderes verdient hatte,
     ihm doch ein tiefsitzendes Unbehagen bereitete, zeigte ihm, dass er noch nicht alle Skrupel über Bord geworfen hatte. Aber
     dieses Unbehagen wurde jetzt gemildert, da die Kleine ja anscheinend entschlossen war, auch ihr Vergnügen aus der Begegnung
     mit Hauptmann Shackleton zu |413| ziehen, dem tapferen Helden, dessen Namen sie in den Trümmern der Zukunft flüstern würde.
    Im Vergleich zu den Absteigen, in denen Tom üblicherweise seine Nächte zu verbringen pflegte, wirkte die Pension sauber und
     beinahe sogar anheimelnd. Einem Mädchen wie Claire mochte sie vielleicht geschmacklos und ihrem Stand unangemessen erscheinen,
     aber sie hatte jedenfalls keinen Grund, entsetzt die Flucht zu ergreifen. Während Tom sich den Zimmerschlüssel geben ließ,
     beobachtete er, wie sie unbekümmert die Bilder an den Wänden musterte, und bewunderte ihre Art, ein weltgewandtes Auftreten
     zur Schau zu stellen, als sei es für sie ganz normal, sich abends mit

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