Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
denken, dass er entweder einen Herzinfarkt erlitt oder am Ende doch noch auf
     der Reise ins Jahr 2000 war.
     
    Quälend langsam kam er zu sich. Sein Mund war ausgetrocknet und der ganze Körper merkwürdig schwer. Als er wieder klar sehen
     konnte, stellte er fest, dass er auf dem Boden lag; aber es war nicht der Fußboden seiner Dachkammer, sondern ein mit Geröll
     übersätes Trümmerfeld. Verwirrt versuchte er, auf die Beine zu kommen, doch sobald er den Kopf ein wenig bewegte, durchfuhren
     ihn stechende Schmerzen. So blieb er erst einmal sitzen. Ungläubig ließ er seinen Blick über die Trümmerlandschaft schweifen.
    Er befand sich in einer vollkommen zerstörten Stadt. War das das London der Zukunft?, fragte er sich. War er tatsächlich |554| ins Jahr 2000 gereist? Von der Zeitmaschine war nichts zu sehen; als hätten die Morlocks sie in der Sphinx versteckt. Nachdem
     er sich einen ersten Eindruck verschafft hatte, hielt er es für angebracht, wieder auf die Beine zu kommen, was ihn so viel
     Mühe kostete wie einem von Darwins Affen, der die Entfernung, die ihn vom Menschen trennt, abzukürzen sucht. Erleichtert stellte
     er fest, dass er sich nichts gebrochen hatte und nur dieses unangenehme Schwindelgefühl noch anhielt. Sollte das eine Nachwirkung
     seiner Zeitreise durch ein Jahrhundert sein? Der Himmel lag unter einer dichten Dunstglocke verborgen, die die Welt in ein
     diffuses Halblicht tauchte, mit schwarzen Rauchfahnen und Feuerschein am Horizont. In dieser trostlosen Einöde kamen ihm die
     Raben, die über seinem Kopf ihre Kreise zogen, beinahe unvermeidlich vor. Einer ließ sich ganz in seiner Nähe nieder und hackte
     mit dem Schnabel hartnäckig auf etwas zwischen den Trümmern ein, was ein makabres Klappergeräusch erzeugte.
    Als er näher hinschaute, sah Wells voller Entsetzen, dass der Vogel auf einem menschlichen Schädel herumhackte. Er wich unwillkürlich
     einige Schritte zurück. Doch diese unbedachte Bewegung führte dazu, dass er den Boden unter den Füßen verlor und da erst begriff,
     dass er am Rand eines Abhangs aufgewacht war, den er nun das Unglück hatte hinunterzukollern. Er landete unsanft am Fuß des
     Geröllhügels, eingehüllt in eine dichte Staubwolke, die seine Atemwege verstopfte und in seine Lungen drang, sodass er heftig
     husten musste. Verärgert über seine Ungeschicklichkeit, kam Wells wieder auf die Beine. Zum Glück hatte er sich auch diesmal
     nichts gebrochen, nur seine Hose war an einigen Stellen zerrissen, zu seiner Schmach auch hinten, |555| sodass ein Stück seines schmächtigen bleichen Hinterteils zu sehen war.
    Wells schüttelte den Kopf. Was musste ihm eigentlich noch alles zustoßen, fragte er sich, sich den Staub abklopfend. Als der
     sich verzog, stand der Schriftsteller sehr still und sehr starr und schaute fassungslos auf die Silhouetten, die sich im niedersinkenden
     Staub abzeichneten. Vor ihm stand eine Abteilung von Maschinenmenschen, die ihn anstarrten. Kein Laut ging von ihnen aus.
     Es waren mindestens ein Dutzend, alle in der gleichen starren, furchteinflößenden Haltung, auch der Anführer, der sich von
     den anderen nur durch eine anachronistische goldene Krone auf dem Haupt unterschied. Es schien, als hätten sie ihren Marsch
     unterbrochen, als sie ihn von dem Abhang stürzen sahen. Als Wells begriff, wo er sich befand, fuhr ihm eine schneidende Angst
     in die Eingeweide. Er war ins Jahr 2000 gereist, und das Jahr 2000 war genau so, wie Gilliam Murray es beschrieben hatte,
     denn direkt vor ihm stand Salomon, der grausame König der Maschinenmenschen und Verantwortliche für die Zerstörung des Planeten.
     Sein Schicksal war besiegelt: Er würde sterben, niedergestreckt von einem Schuss aus einer Spielzeugwaffe. Und das in der
     Zukunft, an die er nicht hatte glauben wollen.
    «Ich nehme an, in diesem Moment wünschen Sie sich nichts sehnlicher als Hauptmann Shackleton an Ihrer Seite, oder?»
    Die Stimme kam nicht von dem Maschinenmenschen, obwohl ihn das auch nicht gewundert hätte, sondern von irgendwo hinter ihm.
     Wells erkannte sie sofort. Er hätte sich gewünscht, diese Stimme nie wieder hören zu müssen, doch aus irgendeinem Grund, einer
     berufsbedingten |556| Deformation vielleicht, hatte er immer gewusst, dass er ihr früher oder später noch einmal begegnen würde. Die Geschichte,
     in der sie zu seinem Leidwesen beide die Hauptrolle spielten, brauchte einen Schluss, ein die Erwartungen der Leser befriedigendes
    

Weitere Kostenlose Bücher