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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Ende. Allerdings hätte er nicht im Traum daran gedacht, dass diese Begegnung in der Zukunft stattfinden könnte, zumal er nie
     daran geglaubt hatte, dass eine Reise in die Zukunft möglich sei. Langsam drehte er sich um. Ein paar Meter hinter ihm stand
     Gilliam Murray und betrachtete ihn mit nachsichtiger Belustigung. Er trug einen eleganten malvenfarbenen Anzug und einen grünen
     Hut, was ihn wie einen dieser buntgefiederten Vögel aussehen ließ, die angeblich das Paradies bevölkern. Neben ihm saß ein
     sehr großer goldgelber Hund.
    «Willkommen im Jahr 2000, Mr.   Wells», sagte der Unternehmer leutselig. «Oder vielleicht sollte ich sagen: in meiner Vorstellung vom Jahr 2000.»
    Wells musterte ihn argwöhnisch, hielt zugleich aber die Maschinenmenschen im Blick, die in gespenstischer Bewegungslosigkeit
     verharrten, als warteten sie darauf, porträtiert zu werden.
    «Fürchten Sie sich etwa vor meinen geliebten Maschinenmenschen? Aber wie kann Sie denn eine unwahrscheinliche Zukunft in Angst
     versetzen?», fragte Gilliam spöttisch.
    Der Unternehmer ging gemächlich auf den Anführer der Gruppe zu, wobei er Wells verschwörerisch zuzwinkerte, legte dem Maschinenmenschen
     seine fette Hand auf die Schulter und stieß ihn um. Der Eisenmann kippte nach hinten, stieß dabei scheppernd gegen den, der
     hinter ihm stand, dieser taumelte gegen seinen Nebenmann, und so |557| ging es bis zum Letzten weiter, bis alle unter blechernem Getöse zu Boden gingen. Gilliam hob die Hände, als wolle er sich
     für den Lärm entschuldigen.
    «Wenn keiner drinsteckt, sind es nur hohle Rüstungen, nichts weiter als Verkleidungen», sagte er.
    Wells schaute auf den Haufen umgefallener Maschinenmenschen, dann auf Gilliam. Er versuchte das Schwindelgefühl von Unwirklichkeit,
     das ihn wie wabernder Nebel umwogte, abzuschütteln.
    «Ich bedaure es sehr, Sie gegen Ihren Willen ins Jahr 2000 gebracht zu haben, Mr.   Wells», entschuldigte sich der Unternehmer in geheuchelter Untröstlichkeit. «Das wäre nicht nötig gewesen, wenn Sie eine meiner
     Einladungen angenommen hätten; aber so hatte ich keine andere Wahl. Ich wollte unbedingt, dass Sie es sehen, bevor ich den
     Laden dichtmachen muss. Darum habe ich einen meiner Männer geschickt, damit er Sie im Schlaf mit Chloroform betäubt und herbringt;
     aber wie er mir berichtet hat, verbringen Sie die Nächte lieber mit anderen Dingen.»
    Diese Worte warfen ein willkommenes Licht auf Wells’ getrübten Verstand, sodass er sich die Dinge jetzt schnell zusammenreimen
     konnte. Er begriff sofort, dass er nicht ins Jahr 2000 gereist war. Die Maschine auf seinem Dachboden war und blieb ein Spielzeug,
     und das zerstörte London, in dem sie sich befanden, war nichts anderes als ein riesiges Bühnenbild, das Gilliam aufgebaut
     hatte, um die Welt zu täuschen. Wahrscheinlich hatte sich sein Büttel hinter der Zeitmaschine versteckt, als er ihn den Dachboden
     betreten sah. Zum Glück hatte er keine Gewalt angewendet, denn er selbst hatte es ihm ja leichtgemacht, als er sich so sorglos
     in die Maschine setzte und ihm damit Gelegenheit |558| gab, ihm ein äthergetränktes Taschentuch auf die Nase zu drücken.
    Unnötig zu sagen, dass Wells, als er realisiert hatte, dass er sich in einer simplen Bühnendekoration befand und keineswegs
     eine unmögliche Zeitreise unternommen hatte, unendlich erleichtert war. Die Situation, in die er geraten war, war zwar keineswegs
     angenehm, aber wenigstens begreiflich.
    «Ich kann nur hoffen, dass Sie meiner Frau nichts angetan haben», sagte er in einem Ton, der nicht wirklich bedrohlich klang.
    «Oh, keine Sorge», beruhigte ihn Gilliam und wedelte mit der Hand. «Ihre Frau hat einen gesegneten Schlaf, und meine Männer
     können unglaublich leise sein, wenn die Situation es erfordert. Ich bin sicher, Ihre verehrte Jane schläft zu diesem Zeitpunkt
     immer noch tief und wird Sie nicht vermissen.»
    Wells wollte etwas erwidern, doch dann schwieg er. Gilliam behandelte ihn mit der etwas aufgesetzt wirkenden Hochmütigkeit
     der Reichen, denen die Welt zu Füßen liegt. Es war unverkennbar, dass sich die Aufstellung der Spielfiguren auf dem Brett
     seit ihrer letzten Begegnung verändert hatte. War während ihres Gesprächs in Woking Wells es gewesen, der das Zepter der Macht
     geschwungen und hochgehalten hatte wie ein Kind sein neues Spielzeug, hielt es jetzt Gilliam in seinen fetten Fingern. In
     den wenigen Monaten war der Unternehmer ein ganz

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