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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Cousin ihn überhaupt gefunden? Und
     warum gab er nie auf, wie er selbst es getan hatte?
    «Verschwinde, Charles, ich habe zu tun», rief er.
    «Tu’s nicht, Andrew! Ich habe eine Möglichkeit gefunden, Marie zu retten!»
    Zu retten? Andrew stieß ein grimmiges Lachen aus. Er musste zugeben, dass sein Cousin mit Erfindungsgabe gesegnet war, doch
     das grenzte nun an Geschmacklosigkeit.
    «Ich darf dich daran erinnern, dass Marie tot ist», rief er. «Vor acht Jahren ist sie in diesem Drecksloch ermordet worden.
     Als ich sie hätte retten können, habe ich es nicht getan. Wie wollen wir sie heute retten, Charles? Indem wir eine Zeitreise
     antreten?»
    «Ganz genau», antwortete sein Cousin und schob etwas unter der Tür durch.
    Andrew warf einen verhalten neugierigen Blick darauf. Es sah aus wie ein Faltblatt.
    «Lies es, Andrew», bat sein Cousin, der jetzt durch das zerbrochene Fenster mit ihm sprach. «Bitte!»
    Andrew schämte sich, dass sein Cousin ihn so sah, den Revolver lächerlicherweise unters Kinn gedrückt, was vielleicht die
     falscheste Stelle war, um sich das Gehirn wegzublasen. Da ihm klar war, dass Charles nicht verschwinden würde, ließ er die
     Waffe mit einem ärgerlichen Seufzen sinken, legte sie aufs Bett und bückte sich nach dem Papier.
    «In Ordnung, Charles, du hast gewonnen», knurrte er. «Was haben wir da also?»
    Er nahm das Blatt vom Boden auf und betrachtete es. |105| Es war ein Flugblatt von blassblauer Farbe. Er las es mit ungläubigem Staunen. Was er da in der Hand hielt, war ein Reklamezettel
     der Firma ZEITREISEN MURRAY, die, so unwahrscheinlich es klingen mochte, Reisen durch die Zeit anbot. Der Text lautete folgendermaßen:
     
     
    Sind Sie des räumlichen Reisens überdrüssig?
    Jetzt können Sie in der vierten Dimension durch die Zeit reisen.
    Nehmen Sie unser Angebot wahr! Reisen Sie ins Jahr 2000.
    Werden Sie Zeuge der Zukunft, einer Zeit, die erst Ihre Enkel erleben werden.
    Für nur hundert Pfund können Sie drei Stunden im Jahr 2000 verbringen.
    Sehen Sie mit eigenen Augen den Krieg zwischen Menschen und Maschinen, der den Lauf der Welt verändern wird, und lassen Sie
     sich nicht nur davon erzählen!
     
     
    Dem Text war eine Zeichnung beigefügt, die mit mehr gutem Willen als Können eine zwischen zwei mächtigen Heeren entbrannte
     Schlacht darstellte. Vor einem Geröllfeld, das vermutlich eine zerstörte Stadt zeigen sollte, standen |106| sich beide Seiten gegenüber. Die auf der einen waren eindeutig Menschen, die auf der anderen sahen aus wie menschenähnliche
     Wesen aus Metall. Die Zeichnung war zu rudimentär, um mehr herauslesen zu können.
    Was zum Teufel sollte das sein? Andrew blieb nichts anderes übrig, als die Tür aufzuschließen. Charles trat ein und schloss
     sie hinter sich. Er hauchte in seine kalten Hände und zeigte sich mit einem breiten Lächeln zufrieden, den Selbstmord seines
     Cousins verhindert zu haben. Fürs Erste wenigstens. Als Nächstes bemächtigte er sich des Revolvers, der auf dem Bett lag.
    «Woher wusstest du, dass ich hier bin?», fragte Andrew, während sein Cousin mit der Waffe in der Hand vor dem Spiegel posierte.
    «Du enttäuschst mich, Cousin», entgegnete Charles, ließ die Patronen aus der Trommel in seine Handfläche plumpsen und steckte
     sie in die Manteltasche. «Die Vitrine deines Vaters stand offen, ein Revolver fehlte, und heute ist der 7.   November. Wo sonst hätte ich dich suchen sollen? Du hättest mir den Weg genauso gut mit Brotkrumen markieren können.»
    «Tja», sagte Andrew und musste einsehen, dass sein Cousin recht hatte. Er hatte seine Spuren nicht gerade unkenntlich zu machen
     versucht.
    Charles nahm die Waffe beim Lauf und hielt sie Andrew hin.
    «Fertig. Jetzt kannst du so oft abdrücken, wie du willst.»
    Andrew nahm sie ärgerlich entgegen und ließ den unbequemen Gegenstand so schnell wie möglich von der Szene verschwinden, indem
     er ihn in die Tasche steckte. |107| Was half’s, er würde sich bei anderer Gelegenheit umbringen müssen. Charles wartete mit spöttisch-vorwurfsvoller Miene auf
     eine Erklärung, doch Andrew fühlte sich viel zu schwach, um ihn davon zu überzeugen, dass Selbstmord die einzige Lösung war,
     die er für sein Problem gefunden hatte. Er umging das Thema lieber, indem er Interesse an dem Flugblatt vorschützte, bevor
     sein Cousin anfing, ihm eine Predigt zu halten.
    «Und das? Was soll das sein, ein Scherz?», fragte er, mit dem Papier wedelnd. «Wo hast du

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