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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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hatte.
     Der Blick auf die Karte zeigte jedoch, dass die Genauigkeit, mit der er den windungsvollen Verlauf jeder Reise eingezeichnet
     hatte, letzten Endes nutzlos war, da man ihm unmöglich zu |135| folgen vermochte, weil sich die Linien unablässig kreuzten und miteinander verwoben und sein Unterfangen, sämtliche Forschungsexpeditionen
     des Menschen, von den frühen Reisen des Marco Polo, deren goldener Strich sich durch Indien, China, Zentralasien und die malayische
     Inselwelt zog, bis zur letzten, die Sir Francis Younghusband von Peking über das mit Gletschern bedeckte Karakorumgebirge
     nach Kaschmir geführt hatte, aufzuzeichnen, ad absurdum führten. Und nicht nur die Kontinente waren von bunten Strichen durchzogen.
     Es gab auch Linien, die die Landmasse verließen und auf den Meeren der schäumenden Kielspur berühmter Schiffe wie den Karavellen
     des Admirals Kolumbus folgten oder jener, die die
Erebus
und
Terror
auf der Suche nach einer Abkürzug nach China durch die arktische See gezogen hatten. Beide endeten im Nichts, wie in Wirklichkeit
     auch besagte Schiffe nach dem Passieren des Lancaster Sound, des mutmaßlichen Zugangs zur Nordwestpassage. Andrew sah sich
     außerstande, das ganze Gestrichel zu durchdringen, und folgte einer blauen Linie, die die Insel Borneo durchschnitt, jenes
     regnerische Paradies im südöstlichen Zipfel von Asien, in dem nur Affen und Krokodile lebten. Sie markierte den verschlungenen
     Weg, den Sir James Brooke zurückgelegt hatte, den sie den Leoparden von Sarawak nannten. Doch Gilliam bat sie jetzt, ihre
     Aufmerksamkeit auf den verwirrendsten Teil der Karte zu richten, den afrikanischen Kontinent, wo die Linien sämtlicher Expeditionen
     durcheinanderliefen, die versucht hatten, die sagenhaften Quellen des Nils zu finden. Dort verwoben sich die Reiserouten der
     Holländerin Alexine Tinné mit der des Ehepaars Baker und der von Burton und Speke sowie der berühmtesten |136| von Livingstone und Stanley und vielen anderen, die zusammen ein unüberschaubares Geflecht bildeten, das nicht viel aussagte,
     außer vielleicht über die Verlockungen, die der Schwarze Kontinent seit je auf die Gemeinde der Tropenhelmträger ausübte.
    «Die Geschichte unserer Entdeckung der Zeitreisen beginnt hier vor genau zweiundzwanzig Jahren», verkündete Gilliam in erinnerungsseligem
     Ton.
    Als hätte er diese Geschichte schon viele Male gehört, ließ Eterno sich zu Füßen seines Herrn auf den Teppich sinken, Charles
     lächelte verzückt ob dieses vielversprechenden Anfangs, und Andrew machte ein verzweifeltes Gesicht, als ihm klarwurde, dass
     er sich mit einiger Geduld würde wappnen müssen, bevor er erfahren würde, ob er Marie Kelly retten konnte oder nicht.

|137| VIII
    Gestatten Sie mir jetzt, einen kleinen erzählerischen Kunstgriff anzuwenden und Ihnen Gilliam Murrays Geschichte in der dritten
     Person zu erzählen, als wäre es ein Kapitel aus einem Abenteuerroman, denn als solches sah sie der Unternehmer am liebsten.
     In jener Zeit, zu Beginn der zweiten Hälfte des 19.   Jahrhunderts, war die Entdeckung der mythischen Nilquellen, die Ptolemäus auf den Mondbergen verortet hatte, jenem Gebirgszug,
     der sich im Herzen Afrikas erhebt, das Hauptziel der meisten Forschungsexpeditionen. Doch schienen die Forscher der Neuzeit
     ebenso wenig Glück zu haben wie Herodot, Nero und all die anderen, die im Lauf der Menschheitsgeschichte erfolglos danach
     gesucht hatten. Die Expedition von Richard Burton und John Speke hatte nur dazu geführt, dass sich die beiden Forscher verfeindeten,
     und auch die von David Livingstone hatte kein neues Licht in die Sache gebracht. Livingstone litt an der Ruhr, als Henry Stanley
     ihn in Ujiji fand, weigerte sich aber, mit diesem in die Hauptstadt zurückzukehren, und brach stattdessen zu einer neuen Expedition
     auf, die ihn an den Tanganjikasee führte. Am Ende seiner Kräfte und von Fieber geschüttelt, musste er von dort auf einer Trage
     zurückgebracht werden. Der schottische Forscher starb in Chitambo, und seine |138| letzte Reise trat er, einbalsamiert mit den Essenzen aus dem Stamm eines Myongabaums, als Leiche an, die seine Träger auf
     einer neun Monate währenden Reise nach Sansibar transportierten, von wo aus er nach Großbritannien überführt wurde. 1878 wurde
     er in Westminster Abbey mit allen Ehren zu Grabe getragen. Trotz seiner unbestreitbaren Entdeckungen blieb die Lage der Nilquellen
     weiterhin ein Geheimnis; und alle

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