Die Landkarte der Zeit
verwandten die Forscher fast
dieselben Worte, wie sie fünf Jahre zuvor Tremanquai gebraucht hatte, nur dass sie der junge Gilliam jetzt nicht mehr als
Phantasiegeschichte las: Was dort passierte, war Wirklichkeit. Er hatte plötzlich das Gefühl von Atemnot und Beengung, und
das nicht, weil er in seinem engen Büro eingeschlossen war. Er fühlte sich zwischen den Wänden eines Universums eingeklemmt,
von dem er jetzt wusste, dass es nicht das einzige war. Doch diese Beklommenheit würde bald vergehen, da war er sich sicher.
Die nächsten Minuten widmete er noch einmal dem Gedenken an den armen Oliver Tremanquai. Er nahm an, dass dessen starke religiöse
Überzeugungen ihn daran gehindert hatten, das Gesehene |149| als Wahrheit zu akzeptieren, sodass ihm nur der qualvolle Weg in den Wahnsinn geblieben war. Zum Glück besaßen die Simpel
von Kauffman und Austin einen schlichteren Verstand, der verhinderte, dass sie dasselbe Schicksal erlitten. Er las ihr Telegramm
hundert Mal. Die Lianesen existierten nicht nur, sondern praktizierten auch etwas, das Gilliam, im Gegensatz zu Tremanquai,
nicht als Hexerei, sondern als Magie bezeichnete. Vor Kauffman und Austin hatte sich eine unbekannte Welt aufgetan; und offensichtlich
konnten sie der Versuchung nicht widerstehen, sie zu erforschen.
Ihre nächsten Telegramme las Gilliam voll des Bedauerns, sie nicht begleitet zu haben. Mit Zustimmung der Lianesen, die Kauffman
und Austin gewähren ließen, unternahmen die beiden kurze Ausflüge auf die andere Seite, über deren Eigenheiten sie Gilliam
ausführlich berichteten. Im Wesentlichen bestand sie aus einer weiten, leicht schimmernden rosafarbenen Steinwüste unter einem
stets von undurchdringlichen Wolken verhangenen Himmel. Sollte darüber die Sonne scheinen, so drang kein Lichtstrahl nach
unten. Die einzige Helligkeit ging von der seltsamen Bodenbeschaffenheit aus, sodass das ganze Land in einem trüben Zwielicht
lag, das aus Tag und Nacht ein ewiges Halbdunkel machte, welches den Blick in die Ferne erschwerte, während man seine Stiefel
in aller Deutlichkeit sehen konnte. Ab und zu peitschte ein wütender Sturm über das flache Land, der Wolken von Sand aufwirbelte
und die Sicht noch verschlechterte. Es gab noch eine weitere Merkwürdigkeit: sobald sie die Öffnung durchquerten, blieben
ihre Uhren stehen. Kehrten sie jedoch in ihre Wirklichkeit zurück, erwachten die Mechanismen |150| wundersamerweise wieder aus ihrem vorübergehenden Schlaf. Es war, als hätten ihre Uhren einstimmig beschlossen, jene Zeit
nicht zu messen, die ihre Besitzer in der anderen Welt verbrachten. Kauffman und Austin schauten sich ratlos an, und man kann
sich ohne Mühe vorstellen, wie sie dümmlich grinsend die Schultern zuckten. Nachdem sie ihren Schätzungen nach eine ganze
Nacht auf der anderen Seite verbracht hatten, direkt hinter der Öffnung, damit sie die Lianesen im Auge behalten konnten,
machten sie eine weitere Entdeckung. Sie brauchten sich nicht zu rasieren; ihr Bart war in der anderen Welt nicht gewachsen.
Sie stellten auch fest, dass ein Schnitt, den sich Austin kurz vor dem Durchsteigen der Öffnung am Arm zugezogen hatte, plötzlich
zu bluten aufhörte, sodass er nicht einmal mehr daran dachte, den Arm zu verbinden. Die Wunde kam ihm erst wieder in den Sinn,
als sie nach der Rückkehr erneut zu bluten begann. Fasziniert notierte Gilliam dieses ungewöhnliche Ereignis in seinem Notizbuch,
genau wie das, was mit ihren Bärten und Uhren passiert war. Dies alles wies auf ein unmögliches Aussetzen der Zeit hin. Während
er sich in seinem Arbeitszimmer das Hirn zermarterte, versorgten sich Kauffman und Austin mit Waffen und Lebensmitteln, um
sich auf den Marsch zu der einzigen Stelle zu machen, die die Eintönigkeit der Ebene durchbrach: das düstere Gebirge, das
gespenstisch am Horizont aufragte.
Da die Uhren sich als unbrauchbar erwiesen, beschlossen sie, die Reisedauer mit Hilfe der Schlafphasen zu messen, was sich
jedoch als wenig wirksam erwies, da ihr Schlaf manchmal vom Sturm unterbrochen wurde, der unvermittelt mit solcher Wucht losbrach,
dass sie gezwungen |151| waren, wach zu bleiben und ihr Zelt zu befestigen, und sie andere Male von Müdigkeit überwältigt wurden, wenn sie rasteten,
um zu essen oder ihre Kräfte zu sammeln. Alles, was sie sagen konnten, war daher, dass sie die angestrebten Berge in einer
mehr oder weniger akzeptablen Zeit erreichten. Der
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