Die Landkarte der Zeit
der Bitte an die Leser, nicht den Glauben an die vom tapferen Hauptmann Derek Shackleton angeführten Menschen zu verlieren.
Am meisten überraschte sie jedoch das Datum der Zeitung. Das verirrte Blatt, das sie in Händen hielten, war am 3. April des Jahres 2000 gedruckt worden. Kauffman und Austin schüttelten einmütig die Köpfe, langsam, von links nach rechts,
fanden jedoch keine Zeit mehr, ihre Verwirrung in etwas ausgereifterer Form zu äußern, da sich im selben Augenblick ein Stück
Dachbalken unter ihren Füßen löste, unter großem Gepolter den Geröllhaufen hinunter auf die Straße stürzte und die Maschinen
alarmierte. Kauffman und Austin warfen sich einen entsetzten Blick zu und gaben Fersengeld, dass die Sohlen qualmten. Sie
rannten so schnell sie konnten, ohne einen einzigen Blick zurückzuwerfen, in Richtung des Zeitlochs, durch das sie in diese
Welt getreten waren. Sie gelangten problemlos hindurch, hörten aber nicht auf zu rennen, bis ihre Füße sie nicht mehr tragen
wollten. Sie bauten ihr Zelt auf und verkrochen sich darin, versuchten sich zu beruhigen und das Gesehene zu verarbeiten,
mit Hilfe des unschätzbaren Whiskys, versteht sich. Ihnen war klar, dass sie sofort ins Dorf der Lianesen zurückkehren, London
informieren und |157| darauf vertrauen mussten, dass Gilliam Murray ihnen erklären könnte, was sie da gesehen hatten.
Ihr Abenteuer war damit aber noch nicht beendet. Auf dem Rückweg wurden sie von einem der Ungeheuer mit den Stachelrücken
angegriffen, deren Existenz sie völlig vergessen hatten. Sie verbrauchten fast ihre ganze Gewehrmunition bei dem Versuch,
die Bestie zu verjagen, da die Kugeln immer wieder an der Stachelrüstung abprallten, ohne den geringsten Schaden anzurichten.
Schließlich zielten sie auf die Augen, die einzige verwundbare Stelle, die sie entdecken konnten, und erst dadurch ließ sich
das Ungeheuer vertreiben. Danach erreichten sie ohne weitere Zwischenfälle das Zeitloch und schrieben gleich einen Bericht
nach London, in dem sie alles erzählten, was sie erlebt hatten.
Nachdem Gilliam Murray ihren Bericht gelesen hatte, bestieg er unverzüglich ein Schiff nach Afrika. Er traf sich mit seinen
Forschern im Dorf der Lianesen, und ebenso ungläubig wie der heilige Thomas seinen Finger in die Lanzenwunde des Herrn gelegt
hatte, schritt er durch das zerstörte London des Jahres 2000. Er blieb mehrere Monate bei den Lianesen, obwohl er nie zu sagen vermochte, wie lange genau, da er viel Zeit in der rosafarbenen
Ebene verbrachte, um alles bestätigt zu finden, was seine beiden Forscher ihm berichtet hatten. Wie schon in ihren Telegrammen
vorweggenommen, hörten in dieser Schattenwelt die Uhren auf zu funktionieren, man brauchte keine Rasiermesser, und es gab
nicht das geringste Anzeichen für ein Verstreichen der Zeit, woraus er schloss, dass die dort verbrachten Aufenthalte, so
unglaublich sich das anhörte, so etwas wie ein Anhalten seines Daseins bedeuteten; |158| Ruhepausen, die den unerbittlichen Gang zum Tod endlos zu dehnen vermochten. Er stellte fest, dass diese Gedanken keineswegs
einem verwirrten Geist entsprangen, als er sah, wie das Hündchen, das er mitgenommen hatte, bei der Rückkehr ins Dorf zu seinen
Geschwistern rannte, die alle aus dem selben Wurf stammten, und dort auf ausgewachsene Hunde traf. Gilliam hatte sich während
seines Aufenthalts in der Ebene keinmal rasieren müssen, doch Eterno, der Welpe, verdeutlichte das Ausbleiben von Zeit in
jener trostlosen Welt auf sehr viel anschaulichere Weise. Gilliam kam auch darauf, dass die Löcher nicht in andere Welten
führten, wie er anfangs geglaubt hatte, sondern in verschiedene Zeiten derselben Welt, die keine andere war als die seinige.
Die rosafarbene Ebene lag außerhalb des Zeitstroms, der Zeit selbst, in der sich das Leben der Menschen, der Pflanzen und
Tiere abspielte. Und die Wesen, die dort lebten, die Geschöpfe, denen Tramanquai den Namen Lianesen gegeben hatte, konnten
diesen Zeitstrom betreten, indem sie Löcher darin öffneten, durch die der Mensch eintreten und durch die Zeit reisen konnte.
Als Gilliam sich dessen bewusst wurde, übermannten ihn Erregung und Furcht. Er hatte die größte Entdeckung der Menschheitsgeschichte
gemacht: Er hatte entdeckt, was jenseits der Welt war, was sich hinter der Wirklichkeit verbarg. Er hatte die vierte Dimension
entdeckt.
Wie das Leben doch spielt, dachte er. Er hatte nach den
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