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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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«Andeutungen sind von enttäuschender Effizienz für den, der sie ausspricht, da sie immer den Unschuldigen zwingen, sich zu verteidigen, während der Schuldige sie einfach ignorieren kann, ohne verdächtig zu wirken. Deswegen bin ich lieber direkt als scheinheilig, meine Teure. Nicht etwa, weil mir die Meinung anderer etwas bedeutet, sondern weil ich es vorziehe, dass alle
meine
Meinung kennen.»
    «Oh, wir alle wissen zur Genüge, wie du deine Meinung kundzutun beliebst, Charles. Gestatte mir aber, dich darauf hinzuweisen, dass du dir in diesem Fall über jemand eine Meinung zu haben anmaßt, von dem du absolut gar nichts weißt», entgegnete Claire sichtlich aufgebracht. «Du selbst hast es vorhin zu John gesagt: Wer über etwas spricht, von dem er keine Ahnung hat, geht das – deiner Meinung nach viel zu hohe – Risiko ein, am Ende als Idiot dazustehen.»
    Mein Grinsen wurde noch breiter.
    «Aber Claire, ich bin doch der Erste, der seine Unwissenheit zugibt», rief ich, beide Arme ausbreitend und einen unschuldsvollen Blick in die Runde werfend. «Ich will sie gar nicht verhehlen, und nichts wäre mir wichtiger, als aus ihr erlöst zu werden. Verehrte Claire: Zu raten, woher dein geheimnisvoller Gatte stammt, war damals die beliebteste Freizeitbeschäftigung in ganz London! Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass dies nach dem unglücklichen Hinscheiden von Mr. Murray das erste Gesprächsthema in allen Salons und Clubs der Stadt gewesen ist.»
    «Charles, ich glaube, dass alle Anwesenden hier mit mir darin übereinstimmen, dass zwischen Direktheit und Unverschämtheit eine schmale Grenze verläuft, die zu überschreiten du heute Abend offensichtlich fest entschlossen bist», hörte ich meine Frau sagen, die eben noch der Meinung gewesen war, unsere Unstimmigkeit sei zu unbedeutend, um ihr mit einer Geste der Zuneigung zu begegnen, jetzt jedoch ihre Meinung geändert zu haben und Vorwurf für das richtige Mittel zu halten schien.
    Ich wirbelte zu ihr herum.
    «Meine Liebe, es ist absolut unmöglich, sich mit dem Leben eines Menschen zu beschäftigen, ohne unverschämt zu werden. Alles andere wäre Heuchelei», sagte ich. «Du solltest das besser wissen als jeder andere. Oder willst du mich in die unangenehme Lage bringen, dich vor allen Anwesenden daran zu erinnern, dass du die schärfste Zunge hattest, als die Angelegenheit hinter dem Rücken deiner lieben Freundin betuschelt wurde?»
    Ich gebe zu, dass dieser Pfeil über die Maßen vergiftet war; aber nicht immer gelingt es einem, die ätzende Schärfe seiner Antworten adäquat zu dosieren. Victoria biss sich auf die Lippen und errötete, und ich muss gestehen, dass mich ein Anflug von Mitleid traf; doch in jener Situation war Mitgefühl ein Luxus, den ich mir nicht leisten konnte.
    «Sie geben mit Ihrer vornehmen Wohlerzogenheit an, Mr. Winslow», mischte sich Peachey jetzt ein, der endlich aus den schützenden Schatten seiner Frau zu treten und sich offen zu stellen beschlossen hatte, «dabei wissen Sie offensichtlich nicht einmal, wie Sie Ihre Ehefrau zu behandeln haben oder gar glücklich machen können.»
    Ich wandte mich zu ihm, um den Angriff zu parieren, doch die Präzision, mit der er seinen Hieb geführt hatte, überraschte mich; und wie der beste Fechter ins Stolpern geraten kann, beging ich den Fehler, ihm mit einer Frage zu antworten.
    «Und wie ist Ihr scharfer Verstand zu dieser Schlussfolgerung gekommen, Mr. Peachey?»
    Peachey nutzte meinen Ausrutscher besser, als ich vermutet hätte. Höflich lächelnd, als wäre er mein Spiegel, antwortete er:
    «Weil Sie sie, wie wir alle hier feststellen konnten, allein gelassen haben, um sich scheinbar wichtigeren Dingen zu widmen.»
    Ich presste die Fäuste zusammen, um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr seine Antwort mich getroffen hatte, und muss gestehen, dass es mir schwerfiel, mit gewohnter Gelassenheit zu antworten.
    «Ich glaube nicht, dass Sie die geeignete Person sind, um die Bedeutung meiner Angelegenheiten zu bewerten, Mr. Peachey. Wenigstens kann ich das, was ich tue oder lasse, der Liebe wegen tun oder lassen, die ich für meine Frau empfinde, und tue oder lasse es nicht in der steten Furcht, denjenigen möglicherweise zu verärgern, dem ich meine Stellung verdanke.»
    Peacheys Lippen wurden wieder schmal.
    «Wagen Sie es, meine Liebe zu Mrs. Peachey ins Zweifel zu ziehen?», fragte er und versuchte gar nicht mehr, seinen Zorn zu verbergen.
    Ich lächelte. Jetzt war der

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