Die Landkarte des Himmels
Augenblick gekommen, ihm den Gnadenstoß zu versetzen.
«Das könnte ich unmöglich tun, ohne eine der schönsten und ungewöhnlichsten Damen unserer Gesellschaft zu beschädigen, Mr. Peachey. Aber passen Sie auf. Sollte ich tatsächlich Ihre Liebe zu unserer anbetungswürdigen Claire bezweifeln und dies auf einen Grund zurückführen, der natürlich jenseits aller Tugenden Ihrer Gattin liegen müsste, so könnte das, was wirklich auf den Prüfstand käme, nur Ihre Mannhaftigkeit sein.»
Peachey knirschte vor Wut mit den Kiefern und stieß ein Schnauben aus, wie man es von Tieren kennt.
«Charles, du hast ja keine Ahnung, was du da sagst …», protestierte Claire hinter meinem Rücken.
«Meine liebe Claire, Ihr Frauen habt leider die Angewohnheit, das zu glauben, was euch am zweckmäßigsten erscheint», erwiderte ich, mich zu ihr umwendend; doch aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie Peachey seelenruhig, fast feierlich, seine Brille abnahm, sie zusammenfaltete und in die Jackentasche steckte.
«Sprechen Sie nicht in diesem Ton mit meiner Frau, Mr. Winslow», sagte er ganz ruhig und legte dabei prüfend die Hand auf seine Jackentasche, um sich zu vergewissern, dass die Brille geschützt war.
Wütender als seine Worte machte mich, dass er mich nicht einmal ansah.
«War das ein Befehl, John?», fragte ich lächelnd ob seiner versteckten Drohung. Ich breitete die Arme vor ihm aus, wie um meiner Verblüffung Ausdruck zu geben.
«Ich glaube, ich habe mich so deutlich ausgedrückt, dass dir kein Zweifel mehr bleiben sollte, mein lieber, anmaßender Charles.»
Was dann geschah, ging derart schnell und überstürzt vonstatten, dass ich es nicht so detailliert beschreiben kann, wie ich es gern würde. Ich erinnere mich nur noch, dass Peachey mit ungeahnter Schnelligkeit nach meinem Handgelenk schnappte und mir eine Sekunde später den rechten Arm auf den Rücken gedreht hatte. Als Nächstes wurde mein Bein vom Boden gestoßen, und bevor ich noch begriff, was überhaupt vor sich ging, sah ich das Zimmer zur Seite kippen wie ein Schiff, das plötzlich Schlagseite kriegt, und lag auch schon mit dem Gesicht auf dem Teppich. Peachey war über mir und drückte mir ein Knie in den Rücken, sodass ich mich unmöglich rühren konnte. Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Arm, als ich ihn nur ein wenig bewegte, und atmen konnte ich praktisch gar nicht mehr.
«Es reicht jetzt, John», hörte ich Claire mit fester Stimme sagen.
Wie ein von der Stimme einer Jungfrau besänftigter Panther ließ Peachey mein Handgelenk los und sprang auf die Beine, während ich mein Gesicht noch in den Teppich drückte, um den Umstehenden nicht meine schmerzverzerrte Miene zeigen zu müssen.
«Charles …» Es war wieder Claire, die in fast mütterlichem Ton zu mir sprach. «In einer einzigen Sache gebe ich dir recht: dass Hauptmann Shackleton ein Held ist, ein außergewöhnlicher Mann, der die Erde vom Joch der Maschinenmenschen befreien kann …»
«Claire, bitte …», hörte ich ihren Gatten sagen, während ich wenige Zentimeter vor meinen Augen seine Schuhe sah, die sich unruhig bewegten.
«Nein, John», unterbrach ihn seine Frau, «Mr. Winslow ist ein alter Freund, er soll seinen Fehler erkennen und Gelegenheit bekommen, sich dafür zu entschuldigen, wie es ihm seine Ehre als Gentleman zweifellos befehlen wird.»
«Aber …», murmelte ihr Mann.
Claire überhörte seinen Einwand und wandte sich wieder an mich. Aber ich sah sie nicht an.
«Es gibt jedoch noch etwas, das du über den Hauptmann wissen solltest.» Ich drückte meinen Kopf weiter in den Teppich, denn ich hatte das Gefühl, ganz gleich, was sie sagen würde, es gab keine Antwort, die meine Schande tilgen konnte. «Derek Shackleton ist nicht nur ein großer Held. Er ist sogar imstande, für die Frau, die er liebt, auf seinen Ruhm zu verzichten und durch die Zeit zu reisen, um an ihrer Seite zu leben … und sei es unter dem Deckmantel eines simplen Bankdirektors.»
So würdevoll wie möglich hob ich mein Gesicht vom Teppich und fragte in Richtung ihrer Schuhe:
«Was soll das heißen, Claire?»
Ihre Stimme senkte sich sanft wie eine herabtaumelnde Feder an mein Ohr:
«Dass dein bewunderter Hauptmann Shackleton direkt vor dir steht.»
«Was?», stieß ich ungläubig hervor.
Mein Blick fuhr langsam an den kräftigen Beinen des Bankdirektors hinauf zu den Hüften, neben denen die riesigen Fäuste baumelten, über die mächtige Brust zu seinem Gesicht, in dem
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