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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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noch mehr in Rage als die vorige. Dieser Mensch ließ nicht nur meine ganze Verachtung an sich abprallen, indem er meine letzte Erklärung einfach ignorierte und stattdessen einem gewöhnlichen Kutscher antwortete, sondern gestattete sich auch noch eine Meinung darüber, was Shackleton tun konnte oder nicht.
    «Hauptmann Shackleton ist nicht irgendwer, Mr. Peachey», sagte ich und versuchte, nicht wütend zu klingen. «Hauptmann Shackleton ist ein Held, verstehen Sie? Ein Held!»
    «Trotzdem. Ich bezweifle, dass er in einer Situation wie dieser …»
    «Mein lieber Peachey, ich fürchte, dass ich Ihnen da entschieden widersprechen muss», unterbrach ich ihn mit eisiger Geringschätzung. «Leider verfügen wir nicht über die Zeit, uns in die überaus interessante Diskussion zu verstricken, die sich hier andeutet und die mir unter anderen Umständen höchst willkommen wäre, denn nichts fasziniert mich mehr als ein ebenso intelligenter wie zweckfreier Austausch widersprüchlicher Meinungen. Daher nur eines: Wenn Sie die Reise in die Zukunft unternommen hätten, wüssten Sie, was ein wahrer Held ist und wozu er fähig ist.» Nach diesen Worten bedachte ich ihn mit einem höflichen Lächeln, konnte mir eine letzte bissige Bemerkung aber doch nicht verkneifen. «Gerade erst wird mir bewusst, dass ich schrecklich unhöflich zu Ihnen gewesen bin, Mr. Peachey, indem ich Sie hier vor den Leuten bloßgestellt habe. Ich hatte tatsächlich übersehen, dass Sie vor zwei Jahren ja noch nicht eine so behagliche Position innehatten wie heute und deshalb der Preis für die Fahrkarte ins Jahr 2000 für Sie unerschwinglich gewesen sein dürfte.»
    Ich sah, wie Peachey die Lippen aufeinanderpresste, um mir nicht eine Grobheit entgegenzuschleudern, die seine aufgesetzte Höflichkeit ruiniert hätte. Nachdem er den Impuls offenbar unterdrückt hatte, legte er den Kopf zur Seite und suchte wohl nach einer gesitteten, aber dennoch verletzenden Antwort. Wir standen also im Begriff, uns ein Rededuell zu liefern. Das war ein Sport, bei dem man Einfallsreichtum und Ironie beweisen und jederzeit eine dreiste Antwort parat haben musste, was mir keineswegs unangenehm war, denn ohne befürchten zu müssen, prahlerisch zu wirken, kann ich sagen, dass meine Geschicklichkeit im Kreuzen verbaler Klingen in ganz London bekannt und gefürchtet war. Bei Peachey hingegen war völlig klar, dass er zwar keinesfalls gewillt war, sich einschüchtern zu lassen, leider aber nicht über mein Talent und meine Erfahrung in diesem Sport verfügte. Wie ich schon angedeutet habe, war mir vollkommen bewusst, dass die Umstände nicht die geeignetsten waren, um in einen dialektischen Schlagabtausch einzutreten; doch gewissen Versuchungen habe ich nie widerstehen können. Während Peachey noch seine Antwort zu formulieren suchte, warf ich einen raschen Blick in die Runde. Alle hatten ihre Unterhaltungen eingestellt und schauten uns erwartungsvoll an. Das Personal hielt sich im Hintergrund und verstand vermutlich gar nicht, um was es eigentlich ging; mit Ausnahme vielleicht von Harold, der hinter Lucy, Madelaine und meiner Gattin stand, die sich – aufgeschreckt von der drohenden Auseinandersetzung – von ihren Stühlen erhoben hatten. Nur einen Schritt neben uns standen Claire und Andrew, angespannt wie die Saiten einer Geige. Hoch erregt ob eines so aufmerksamen Publikums lächelte ich Peachey ermunternd zu. Das Grammophon spielte immer noch seine kratzende Melodie.
    «Was wissen Sie davon, wie mein Leben vor zwei Jahren war?», fragte mein Gegenspieler schließlich; sichtlich bemüht, seine Erregung zu unterdrücken.
    Ich schüttelte den Kopf, als wäre ich von seiner Antwort maßlos enttäuscht. Er hatte den dümmsten Anfängerfehler begangen: Wer eine Frage mit einer Frage beantwortet, gibt sich rettungslos in die Hände seines Gegners, der sich ja nun ausdenken kann, was er will. Jedes Kind weiß das.
    «Nur das, was jeder weiß, Mr. Peachey», entgegnete ich in aller Ruhe, mein Glas in der Hand drehend. «Dass Sie ohne Namen und ohne Geld buchstäblich aus dem Nichts gekommen sind und die Tochter eines der wohlhabendsten Männer Londons geheiratet haben.»
    «Was willst du damit andeuten, Charles?», mischte sich jetzt Claire in das Gespräch ein.
    Mit einer ebenso theatralischen wie eleganten Körperdrehung wandte ich mich zu ihr.
    «Andeuten? Gott bewahre, Claire! Gar nichts will ich andeuten», erwiderte ich und setzte mein bezauberndstes Lächeln auf.

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