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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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jetzt ohne das Hindernis der Brille zwei große, unergründliche Augen leuchteten. Eine Zeitlang, die mir ewig vorkam, betrachtete ich ungläubig dieses ernste, entschlossene Gesicht, das mir, von unten gesehen, wie das Antlitz eines olympischen Gottes erschien. Und plötzlich legte sich über den Mann, den ich vor wenigen Minuten noch lächerlich zu machen versucht hatte, aus meiner Erinnerung das Bild des tapferen Hauptmanns Shackleton; des Mannes, der die Zukunft der Menschheit gerettet hatte. Niemand wusste, wie er aussah, da sein Helm nur das Kinn freigelassen hatte, aber ich musste zugeben, dass dies ein ebenso männlich kantiges Kinn gewesen war wie das von Peachey. Dann war es also wahr? Dieser blasse Bankdirektor war Hauptmann Shackleton? Peachey reichte mir die Hand, die mich kurz zuvor noch zu Boden geworfen hatte, um mir auf die Beine zu helfen. Ich ergriff sie, obwohl ich immer noch nicht glauben konnte, dass ich tatsächlich Shackleton gegenüberstehen sollte, und ließ mich – noch ein wenig benommen – auf die Füße ziehen.
    «Ihr treibt Späße mit mir …», stammelte ich, immer noch ungläubig. «Sie können nicht Hauptmann Shackleton sein …»
    «Natürlich ist er es, Charles», behauptete Claire, und sah mich mit verträumtem Lächeln an. «Derek und ich haben uns vor zwei Jahren kennengelernt. Nun, eigentlich hat unsere erste Begegnung noch gar nicht stattgefunden, denn die war im Jahr 2000 . Angefangen hat jedenfalls alles während einer der von ZEITREISEN MURRAY organisierten Reisen in die Zukunft; obwohl mein Mann erst in unsere Zeit reisen musste, um …»
    «Warte, Claire, warte …», versuchte ich meiner Verwirrung Herr zu werden.
    «Na ja, das ist jetzt auch nicht mehr wichtig. Ich werde es dir später erklären», fuhr sie fort, meinen Einwand schlicht ignorierend. «Wichtig ist nur, dass wir uns verliebt haben, Charles. Und er hat alles aufgegeben, um bei mir zu sein und in unserer Zeit zu leben, weil er mich liebt.»
    «Aber … das kann doch gar nicht sein, Claire», murmelte ich, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.
    «Doch, Charles, selbstverständlich kann das sein. Warum sollten wir dir was vormachen?», sagte Claire. In ihrem Blick lag aufrichtige Zärtlichkeit. «Mein Mann ist Hauptmann Derek Shackleton, der Held der Zukunft, der Retter der Menschheit.»
    Ich betrachtete Peachey, der mit einem zaghaften Lächeln antwortete. Sollte ich wirklich glauben, dass dies Hauptmann Shackleton war? Ich musterte ihn mit scharfem Blick, taxierte die kräftige Gestalt des Bankdirektors, stellte ihn mir in Shackletons Rüstung vor und musste zugeben, dass sie ihm von der Größe her passen könnte. Im Geiste überschlug ich rasch die Ereignisse der damaligen Zeit, und mir fiel auf, dass kurz nachdem Murrays Unternehmen seine Pforten geschlossen hatte, Peachey wie aus dem Nichts in der Londoner Gesellschaft aufgetaucht war, was nicht mehr als ein merkwürdiger Zufall sein musste … zu dem allerdings noch hinzukam, dass es keinem der ausgewiesenen Klatschzirkeln in den Clubs und Salons der Stadt gelungen war, irgendetwas über die Vergangenheit dieses Mannes herauszufinden, obwohl es monatelang keinen beliebteren Zeitvertreib unter den oberen Zehntausend gegeben hatte. Sollte das jetzt die Erklärung dafür sein? Hatte dieser Mann schlicht keine Vergangenheit, weil seine Vergangenheit in unserer Zukunft lag? Verwirrt schaute ich wieder zu Claire, deren Blick so ehrlich und offen war, dass mir jeder Zweifel genommen wurde. Und mit einem Mal wusste ich, dass sie nicht log, dass sie gar keinen Grund hatte, mich zu belügen. Vor mir stand tatsächlich Hauptmann Shackleton, der Held des Jahres 2000 . Der Gedanke versetzte mir einen Stich in die Brust: Shackleton stand hier vor mir, in unserer Zeit, so unglaublich es klang, und die Liebe hatte ihn hergeführt.
    «Mein Gott … Verzeihen Sie mir meine Anmaßung, Hauptmann, ich … Ihre Verkleidung ist so …», stammelte ich. Dann räusperte ich mich, und als mein Hals wieder frei war, sagte ich mit einer lächerlichen Verbeugung: «Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Hauptmann Shackleton. Gestatten Sie mir, Ihnen im Namen der ganzen Menschheit zu danken, dass Sie unseren Planeten von der Herrschaft der Maschinenmenschen befreien werden.»
    «Ich danke Ihnen, Mr. Winslow», antwortete Shackleton bescheiden, «aber jeder andere hätte an meiner Stelle dasselbe getan.»
    «Oh, Sie wissen, dass das nicht stimmt», sagte ich

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