Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
lächelnd, «ich zum Beispiel nicht.»
    Ich konnte nicht anders, als ihn weiterhin bewundernd anzustarren, bis ich hinter mir lauter werdendes Gemurmel vernahm. Ich glaube, sogar mein Cousin Andrew sagte etwas zu mir, das ich aber nicht verstand, weil ich immer noch verzückt den Hauptmann anschaute. Eigentlich konnte ich immer noch nicht glauben, dass dies Shackleton war, der seit zwei Jahren unter uns lebte, in unserer Zeit, sich hinter dem Äußeren eines gewöhnlichen Mannes verbarg, jeden Tag aufs Neue verhehlen musste, dass er der Retter der Menschheit war, der nicht verraten durfte, was die Zukunft für uns bereithielt. Denn daher war er gekommen; aus einer Zeit, die für uns noch nicht angebrochen war. Er war durch die Zeit gereist, weil er Claire Haggerty liebte. Doch ganz gleich, warum er gekommen war, dachte ich plötzlich, das Einzige, was zählte, war, dass er hier war, in einer Stadt, die von einer Invasion heimgesucht wurde, der Einhalt geboten werden musste. Und das konnte nur er. Plötzlich passten alle Teile des Puzzles zusammen, und ich stand kurz davor, einen Ohnmachtsanfall zu bekommen, so aufgeregt war ich.
    «Das heißt, dass Sie in unsere Zeit gereist sind, um …» Aufwallende Begeisterung erstickte meine Stimme. «Das kann nur heißen, dass Sie der Mann sind, der die Invasion aufhalten wird. Ja, so muss es sein. Darum sind Sie hier.»
    Peachey schüttelte amüsiert den Kopf.
    «Nein, Charles», sagte Claire, «Derek ist hier, weil er mich liebt.»
    Wenn ein Mann sich in eine Frau verliebt, macht er alles für sie, außer sie weiterhin zu lieben, hatte Oscar Wilde der Nachwelt hinterlassen. Und jeder in Liebesdingen gestählte Mann konnte das bestätigen. Nein, Shackleton war nicht der Liebe wegen hier. Er war hier, weil es sein Schicksal war, hier zu sein. Ja, er war die Größe, die in meiner Gleichung gefehlt hatte; der Held, auf den wir alle warteten. Es konnte keinen Zweifel geben; jeder wusste um seine Tapferkeit und Klugheit, und nicht umsonst hatte er den Planeten schon einmal gerettet, wenngleich das chronologisch gesehen noch gar nicht passiert war. Dennoch konnte man sagen, er hatte Erfahrung in diesen Dingen. Nur er konnte die Marsmenschen besiegen, wie er schon die Maschinenmenschen besiegt hatte. Er allein. Und deswegen war er hier. Jawohl!
    «Selbstverständlich, Claire, selbstverständlich ist er aus Liebe hier», sagte ich. «Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Hauptmann Shackleton auch ein Held ist; und einen Helden brauchen wir jetzt mehr als alles andere.»
    «Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Mr. Winslow; aber wie gesagt, ein Mann allein kann in einer Situation wie dieser nichts ausrichten», warf Shackleton ein.
    «Aber Sie sind nicht irgendein Mann», erwiderte ich. «Sie sind ein Held!»
    Shackleton schüttelte seufzend den Kopf. Seine Bescheidenheit überraschte mich. Ich schaute mich hilfesuchend um, war überzeugt, dass alle mich unterstützen würden; doch was ich sah, enttäuschte mich. Die anderen schienen nicht so überzeugt wie ich, warum Shackleton hier war. Die Dienstboten starrten mich – sichtbar überfordert von jener raschen Abfolge unmöglichen Geschehens – verständnislos an: eine Marsinvasion, die Niederlage des mächtigen Empire, in ihrem Wohnzimmerchen ein Held aus der Zukunft, der nach unserem Kalender noch gar nicht geboren war … Das alles hatte sie in ein Monument des Staunens verwandelt, wenngleich ich von diesen schlichten Gemütern mehr eigentlich auch nicht erwartet hatte. Victoria, meine Frau, enttäuschte mich sehr viel mehr mit ihrer ergebenen Leidensmiene, mit der sie zum Ausdruck bringen wollte, dass es für sie nichts Lästigeres gab – Marsinvasion inbegriffen –, als sich die Überspanntheiten ihres Mannes anhören zu müssen. Und mein Cousin und seine reizende Gattin erst … Andrew und Madelaine machten einen so verstörten Eindruck, dass von ihrer Seite mit Hilfe kaum zu rechnen war. Gab es denn im ganzen Zimmer niemanden, der meine Sicht der Dinge teilte? Verzweifelt wandte ich mich wieder an Shackleton.
    «Hauptmann, ich habe Sie gegen den König der Maschinenmenschen kämpfen sehen, und Sie haben ihn besiegt», sagte ich eindringlich. «Sie sind der Retter der Menschheit. Und ich sehe nur einen einzigen Grund, warum Sie hier sind: Sie müssen uns noch einmal retten.»
    «Ich fürchte, dass das nicht in meiner Macht steht, tut mir leid», widersprach Shackleton, als könne er seine Verkleidung nur schwer ablegen

Weitere Kostenlose Bücher