Die Landkarte des Himmels

rücksichtslos durch die Straßen jagenden Kutschen überfahren zu werden – verwundet waren. Wir bewegten uns also offensichtlich auf eine Kampfmaschine zu. Eine Verwünschung murmelnd, hielt ich Ausschau nach einer Seitenstraße, in die wir hätten verschwinden können, aber sie schienen alle von Haufen orientierungsloser Menschen oder ineinander verkeilten Fahrzeugen vollkommen verstopft zu sein. Wir hatten keine andere Wahl, als weiter über die Shaftesbury Avenue der Kampfmaschine entgegenzufahren, was Harold jedoch nicht das Geringste auszumachen schien, der im Gegenteil die Pferde noch heftiger antrieb und geschickt allen anderen Gefährten auswich, die uns entgegenkamen. Ich sah, wie Shackletons Haltung immer angespannter wurde, je näher wir dem Kampflärm kamen, was zur Folge hatte, dass auch ich mich versteifte und meine Rechte um den Revolvergriff klammerte und mir das Herz bis zum Halse klopfte. Im Gegensatz zu den Übrigen hatte ich miterlebt, wie tödlich die Kampfmaschinen waren, und ich hatte große Zweifel, ob wir die Begegnung, der wir so unaufhaltsam entgegenrasten, lebend überstehen würden.
    Und dann erblickten wir mitten auf der Straße die Kampfmaschine mit ihren drei turmhohen Beinen, die die Panik ausgelöst hatte. Mächtig und selbstbewusst stand sie da, leicht schwankend, und hinter ihr erkannte man – wie die Zahnstümpfe eines fauligen Gebisses – eine Reihe zerschossener und zum Teil eingestürzter Häuser. Shackleton schien von der Höhe der Marsmaschine ebenso überwältigt, wie ich es gewesen war, als ich zum ersten Mal einer gegenüberstand. In diesem Moment fuhr ein Hitzestrahl aus dem glitzernden Tentakel und traf eine Gruppe Fliehender. Sofort war das Dutzend Unglücklicher nur noch ein Haufen verkohlter Gestalten, aus dem kräuselnde Fäden schwarzen Qualms aufstiegen.
    «Mein Gott», flüsterte Shackleton.
    Als Harold sah, wozu die Marsmenschen imstande waren, schien all sein Mut von ihm abzufallen, und er riss die Pferde herum, um in die Gegenrichtung davonzupreschen. Doch hinter uns hatte sich ein Stau von allen möglichen Gefährten gebildet, in dem wir nun unwiderruflich festsaßen. Kutschen wie unsere, Zweispänner und kleine Kabrioletts kämpften darum, sich aus dem Knäuel wachsender Panik herauszumanövrieren, doch uns wurde sogleich klar, dass dies ein vergebliches Unterfangen war. Ausweichen und daran vorbeifahren war ebenso wenig möglich. Und die Kampfmaschine kam näher. Bald würden auch wir nur noch ein Häuflein Asche auf dem Straßenpflaster sein. Angesichts unserer verfahrenen Lage sprang Harold vom Kutschbock und hob hilflos die Hände, Shackleton und ich stiegen ebenfalls aus. In dem Moment tat die Kampfmaschine einen gewaltigen Schritt auf uns zu, sodass die Erde sich unter unseren Füßen wölbte wie eine buckelnde Katze. Ich machte Anstalten, meinen Revolver zu ziehen, doch dann ließ ich es. Was hätte er gegen dieses Monster ausrichten können?
    «Wir müssen die Kutsche stehenlassen und uns zu Fuß in Sicherheit bringen!», rief ich Shackleton zu, der immer noch wie gebannt auf die langsam näher kommende Kampfmaschine starrte.
    Zu unserer großen Überraschung schüttelte der Hauptmann den Kopf und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Starr vor Schreck sah ich, dass er der Kampfmaschine entgegenrannte, die nicht mitbekam, dass sich eine einzelne Person gegen den Strom der Fliehenden bewegte. Erst als die Menge auseinandergestoben war, wurde er für die Kampfmaschine sichtbar. Aus der Ferne versuchte ich zu erkennen, was der Hauptmann vorhatte, und mir fiel nur eines ein: Er versuchte durch die Beine der Maschine hindurchzukommen und hinter ihr zu verschwinden, ohne sich weiter um uns zu kümmern. Was für ein Held war das denn, der so etwas tat?, fragte ich mich. Welcher Held rettete die eigene Haut und ließ seine Gefährten im Stich? Doch plötzlich schien er seine Meinung zu ändern, und anstatt durch die hohen Säulen der Stelzenbeine zu laufen, schwenkte er jäh nach rechts und versuchte, an der Seite vorbeizurennen. Das Tentakel der Kampfmaschine versuchte schwankend dem mutwilligen Lauf seines neuen Ziels zu folgen. Während ich mich tapfer dagegen wehrte, von der heranwogenden Menge gegen die gestauten Fahrzeuge gedrückt zu werden, sah ich, dass das dreibeinige Eisenmonster den Hauptmann vor einem mehrstöckigen Gebäude in die Enge getrieben hatte. Es handelte sich offenbar um ein öffentliches Gebäude mit klassizistischer Fassade,