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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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deren Bögen über dem Eingang von schlanken Pfeilern getragen wurden, zwischen denen der Hauptmann sich vorläufig in Sicherheit gebracht hatte.
    Mit einem Dutzend anderer, die stehen geblieben waren, um sich anzusehen, was uns allen wie ein wahnsinniger Selbstmordversuch vorkam, beobachtete ich den Hauptmann, der das wie eine Kobra schwankende Tentakel nicht aus den Augen ließ, aber vor Angst wie angewurzelt schien. Nur wenige Meter vor ihm hing das Tentakel in der Luft, und keine Sekunde später schleuderte es seinen Hitzestrahl auf den Hauptmann. Ich war überzeugt, dass er jetzt mit seinem Leben bezahlte; doch im letzten Augenblick schien er seine Starre abzuschütteln und warf sich mit einem gewaltigen Sprung zu Seite, sodass der Feuerstrahl gegen den Pfeiler hinter ihm prallte und einen tödlichen Regen in alle Richtungen stiebender Gesteinsbrocken entfachte. Als der Pfeiler einstürzte, bebte die ganze Fassade, zickzackförmige Risse taten sich in ihr auf, und dann begann sie langsam zusammenzusinken. Hinter einem Vorhang von aufwirbelndem Staub sah ich den Hauptmann aufspringen und weiterhetzen, doch der Marsmensch, der die Kampfmaschine steuerte, schien nicht gewillt, ihm die kleinste Atempause zu gönnen. Er rammte die drei Stelzenbeine fest auf den Boden und schoss einen weiteren Hitzestrahl ab, der Shackleton über den Boden rollen ließ. Der Strahl traf die nächste Säule, und wieder wurde ein Hagel von Gesteinsbrocken durch den Staubvorhang geschleudert. Einen Wimpernschlag später war Shackleton wieder auf den Beinen. Er versuchte nun, aus der Reichweite der Kampfmaschine zu entkommen, die einen Hitzestrahl nach dem anderen auf ihn abfeuerte und dabei die verbleibenden Pfeiler der Gebäudefront zerstörte. Das Gebäude hatte mittlerweile einen bedeutenden Teil seiner Stützen verloren und begann sich mit ohrenbetäubendem Krachen und Kreischen nach vorne zu neigen. Shackleton stand jetzt unter dem letzten Bogen an der Ecke des Hauses und sah zu, wie die Kampfmaschine von einer wahren Flut herabregnender Trümmer getroffen wurde. Der Ansturm war so gewaltig, dass sie bedenklich zu schwanken begann, das Tentakel wild durch die Luft peitschte und unkontrollierte Hitzestrahlen abfeuerte, die die benachbarten Häuser trafen. Durch diese Orgie der Zerstörung wurde ein tödlicher Hagel von Gestein, gesplitterten Balken, Glas und allem erdenklichen Stuck durch die Straße geschleudert, direkt auf uns zu. Harold und mir gelang es, hinter unserer Kutsche Deckung zu finden, doch nicht alle hatten solches Glück. Voller Schrecken sahen wir einen Klotz von Wasserspeier heransausen und das Dach der Kutsche neben uns durchschlagen, in der ein Ehepaar saß, das nicht einmal mehr Zeit fand, sich die Hände zu reichen. Ebenso plötzlich, wie er eingesetzt hatte, hörte der tödliche Gesteinshagel auf, und nach dem Aufprall des letzten Brockens breitete sich eine unheimliche Friedhofsstille aus, entweiht allein vom unermüdlichen Geläut der Kirchenglocken.
    Ich musste husten und blinzelte mit beiden Augen, um durch die dichten Staubschleier, die durch die Straße wogten, etwas zu erkennen. Als der Staub sich verzog, sahen wir wenigen, die noch am Leben waren, dass uns von der Kampfmaschine keine Gefahr mehr drohte. Sie lag unter einem riesigen Haufen von Schutt und Gestein begraben, was leider Gottes auch auf Hauptmann Shackleton zutraf, wie ich vermutete. Verzweifelt starrte ich auf den Berg qualmender Trümmer, aus dem zwei verdrehte und abgeknickte Stelzenbeine der Kampfmaschine so in die Höhe ragten, dass sie ein unheimliches, monumentales Kreuz bildeten. Dort liegt also der zukünftige Retter der Menschheit begraben, dachte ich erschüttert, aber auch ernüchtert und völlig ratlos, da ich nicht wusste, was ich von diesem unerwarteten Ereignis halten sollte, das ja meine ganze Argumentation für unser Vorgehen mit einem Schlag zunichtegemacht hatte. Während das Glockengeläut zum Himmel hinaufstieg und aus der Ferne Explosionen herüberhallten, lag hier tragische Stille wie eine Totendecke über dem provisorischen Grab. Jemand schlug vor, ein Gebet zu sprechen, doch die meisten von uns waren viel zu benommen, um dem Folge zu leisten.
    Dann vernahmen wir plötzlich das scharrende Geräusch eines Ziegelsteins, der oben auf dem Trümmerhaufen zur Seite geschoben wurde. Verblüfft starrten wir auf ein paar Gesteinsbrocken, die sich bewegten, und fürchteten schon, die Kampfmaschine könne sich wieder erheben,

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