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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Reise ins Jahr 2000 hing, just zu dem Tag, an dem die Entscheidungsschlacht um das Schicksal der Erde stattfinden würde. Als das Unternehmen ZEITREISEN MURRAY noch bestanden hatte, hatte dieses Plakat als eine ebenso unwirkliche wie verführerische Reklame neben dem Eingang gehangen. Es zeigte Hauptmann Shackleton, das Schwert gegen den König der Maschinenmenschen schwingend, den er in einem erregenden Duell getötet hatte, dem ich dank Murrays Magie hatte beiwohnen können. Ich suchte mit meinem Blick den Helden aus Fleisch und Blut, und der Zufall wollte es, dass er gerade mit Harold sprach und auf etwas zeigte, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Breitbeinig stand er da, mit ausgestrecktem Arm, das kräftige Kinn entschlossen nach vorn gereckt, so als wollte er möglichst treu die kriegerische Haltung wiedergeben, die er auf dem Plakat einnahm, das ich in meinen Händen hielt. Neue Zuversicht durchflutete mich, als ich noch einmal das Plakat betrachtete, dann wieder den tapferen Hauptmann Shackleton, der in unsere Zeit gekommen war und soeben erst ganz allein eine Kampfmaschine der außerirdischen Invasoren vernichtet hatte. Dass diese das Unternehmen ZEITREISEN MURRAY zerstört hatten, war gänzlich ohne Bedeutung; nur dass wir jetzt nicht mehr in die Zukunft reisen würden, um die Welt zu retten. Es würde auf andere Weise geschehen; aber retten würden wir sie. Shackleton sah, wie ich ihn anstarrte. Er zog skeptisch die Brauen hoch und deutete mit ausgebreiteten Armen das ganze Ausmaß der Zerstörung an.
    «Wie Sie sehen, Mister Winslow», sagte er, «werden wir kaum noch die Möglichkeit haben, ins Jahr 2000 zu reisen.»
    Ich zuckte unbekümmert die Achseln, denn diese kleine Widrigkeit sollte doch zu meistern sein.
    «Dann, fürchte ich, werden wir die Marsmenschen wohl allein besiegen müssen, Hauptmann», antwortete ich lächelnd.

XXXIII
    Charles traf Shackleton am nächsten Morgen beim Frühstück. Er sah ihn schon von weitem ein wenig abseits auf einem Stein hocken und seinen Brei löffeln. Wie er befürchtet hatte, war die Miene des Hauptmanns nach der Rückkehr aus dem Frauenlager immer noch finster. Das konnte nur eines bedeuten. Er trat zu ihm, grüßte mit einem bedauernden Grinsen und setzte sich neben ihn auf die Erde. Er hatte sich einen riesigen Überzieher um die Schultern gehängt, den er bei der letzten Kleiderausgabe erstanden hatte und der, seiner primitiven Machart und dem groben Stoff nach zu urteilen, irgendeinem Straßenhändler gehört haben durfte, wenngleich die Unterscheidung nach Stand und Klasse längst aufgehört hatte, für ihn von Bedeutung zu sein. Er beobachtete Shackleton schweigend und wartete, dass sein Freund es für notwendig erachtete, das Wort an ihn zu richten.
    Woche für Woche schickten die Marsmenschen eine Handvoll Männer, die gesund und kräftig aussahen, in ein nahe gelegenes Lager, in dem sie junge, fruchtbare Frauen gefangen hielten. Jeder dieser Männer musste sich unter den abschätzenden Blicken der Marsleute mit einer von den Frauen zusammentun und wurde hinterher wieder zur Arbeit geführt, ohne zu wissen, ob er einen befruchteten Schoß hinterlassen hatte oder nicht. Auf diese Weise sorgten die Marsleute dafür, dass ihnen nie die Sklaven für die mühselige Arbeit, den Planeten für ihre Bedürfnisse herzurichten, ausgingen.
    Zu Beginn ihrer Gefangenschaft war Charles auch immer ausgewählt worden, als er noch so aussah, als wäre er ein des Fortbestands würdiges Exemplar. Durch die unmenschliche Arbeit und die Mangelernährung war sein Aussehen jedoch so heruntergekommen, dass kein Marsmensch mehr glaubte, dass aus seinem Samen etwas Gescheites hervorgehen konnte. Wenn ihn seine Kräfte im Stich ließen, was nicht mehr lange dauern würde, würde er durch eines der Kinder ersetzt werden, die die Gefangenen für die Marsmenschen zeugten und das jetzt bereits irgendwo heranwuchs, ohne dass er jemals erfahren würde, ob es sein Blut in sich trug. Shackleton hingegen wurde jede Woche ins Frauenlager gebracht, da er dafür sorgte, sein robustes und kraftvolles Aussehen zu erhalten, indem er so viel aß, wie nur eben möglich – mehr als einmal hatte Charles ihn andere Näpfe auslecken sehen – und nachts in seiner Zelle sogar Gymnastik und Krafttraining betrieb. Anfangs hatte Charles nicht verstanden, warum der Hauptmann so hartnäckig gegen den körperliche Verfall ankämpfte, doch irgendwann begriff er es: Je besser er sich in Form hielt, desto

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