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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Gegenteil stolz auf ihn sein, dass er es wenigstens versucht hatte, so wie er es ihr im Keller in Queen’s Gate versprochen hatte, und … Doch Shackleton hatte seine ungeschickten Tröstungsversuche mit einer brüsken Handbewegung beiseitegewischt. «Du verstehst es nicht, Charles», hatte er gesagt und niedergeschlagen den Kopf geschüttelt. «Du kannst es nicht verstehen.» Doch warum auch immer, der Hauptmann hatte jedenfalls nie aufgehört, auf sie zu warten. Anders hätte er gar nicht leben können. Der einzige Grund, morgens aufzustehen, war für ihn der, dass dies vielleicht der Tag war, an dem er Claire wiedersah. Und wenn er den Fraß in sich hineinschaufelte, sich in Form hielt und Atem holte, dann nur, weil ihn das in die Lage versetzte, jeden Morgen wieder aufzustehen.
    Charles tat der Hauptmann leid. Da saß der große Retter der Welt, ein verwahrloster, schmutziger Gefangener wie jeder andere, und schlang den grünlichen, stinkenden Brei hinunter, den nicht mal ein Schwein angerührt hätte. Aber Shackleton war nicht wie jeder andere. Shackleton hatte immer noch Hoffnung. Und niemand, nicht einmal eines dieser Ungeheuer aus dem All, würde sie ihm nehmen können.
    «Victoria habe ich auch nirgends gesehen», sagte der Hauptmann plötzlich.
    Charles gab keine Antwort. Er schaute ihn nur verblüfft an, und dann überkam ihn eine große Trostlosigkeit, als er begriff, dass der Hauptmann annahm, er fühle genau wie er, da ja auch Charles nichts von seiner Frau gehört hatte, seit sie den Keller der Villa in Queen’s Gate verlassen hatten. Aber so war es gar nicht, musste er sich betrübt eingestehen. Um Victorias Schicksal sorgte er sich keineswegs mehr als um sein eigenes. Er zog es vor, das Thema zu wechseln, und zeigte auf die in einiger Entfernung glitzernde Luftumwandlungspyramide.
    «Ah, wenn Mister Wells die sehen könnte … Ich bin sicher, er wäre imstande, mit einem einzigen Blick zu erkennen, was genau sie machen kann.»
    Shackleton stieß einen Laut aus, der sowohl ein zustimmendes Schmunzeln als auch ein abweisendes Knurren sein konnte.
    In diesem Augenblick setzte einer der merkwürdigen Niederschläge ein, die es in letzter Zeit häufiger gab. Alle zwei oder drei Tage fielen winzige grüne Kristalle vom Himmel, als schneite es Smaragde, und innerhalb von Minuten war der Boden mit einem knirschenden grünen Teppich bedeckt, auf dem man leicht ausrutschte und der aussah, als hätte sich die Haut eines gigantischen Reptils über die Erde gelegt. Wenig später begannen die Kristalle zu zerfallen und giftige Rauchfäden auszustoßen, die sich ein paar Tage lang zu einem smaragdfarbenen Nebel verdichteten, während das grünliche Wasser, das von der Zersetzung zurückblieb, in Verbindung mit dem Schmutz auf der Erde sich zu einem übelriechenden Moos verdichtete, dem seltsame Pflanzen entsprossen, die wiederum mit überwältigender Geschwindigkeit über die Erde und alle nur denkbaren Oberflächen wucherten und ekelerregenden Spinnweben gleich in die Höhe wuchsen. Keiner der Gefangenen hatte je so etwas Widerliches gesehen wie diese Gewächse, die mittlerweile das ganze Lager überwucherten und Steine und Bäume mit einem dunkelgrünen Überzug umgaben. An den Rändern des Lagers, wo sich die Smaragdkristalle stauten, waren diese Übelkeit erregenden Pflanzen ebenfalls dem Boden entsprossen und rankten sich über die Erde bis zu den weiter entfernten Bäumen, um auch diese mit ihrem unheimlichen Behang zu überziehen, sodass sie bald einem finsteren Märchenwald glichen, in dem Hexen und Kobolde hausten.
    Anfangs hatten Charles und Shackleton lange Diskussionen über die merkwürdigen Veränderungen geführt, die das Klima und die Vegetation durchmachten. Die Kristalle waren ja nur der schaurige Niederschlag jener verstörenden, kupferfarbenen Himmelserscheinungen, die sie immer häufiger zu sehen bekamen; ein Nachhall der wütenden Tornados, die in manchen Nächten an ihren Zellen zerrten, oder der Hagelschauer von toten Vögeln, die in den ersten Monaten morgens wie ein dicker Teppich den Hof bedeckten. Sie waren überzeugt, dass dies alles von den Pyramiden ausgelöst wurde, die sie bauen mussten und die rund um den Globus entstanden. Sie fragten sich oft, ob diese Anomalien wieder rückgängig zu machen wären, wenn der ersehnte Aufstand losbräche und – unter anderem – diese unheimlichen Pyramiden zerstört werden würden. Mit der Zeit jedoch waren sie den Erscheinungen gegenüber

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