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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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schonender waren als das Dröhnen der Explosionen und das unablässige Läuten der Kirchenglocken, dem man oberirdisch ausgesetzt war.
    Mit Agent Clayton den Schluss unserer Prozession bildend, fand ich jetzt ein wenig Zeit, um über unseren Plan nachzudenken. Wells’ Argumentation zum Trotz war ich immer noch überzeugt, dass wir London nicht verlassen sollten. Ich war mir sicher, dass es das Schicksal und nicht irgendein blinder Zufall gewesen war, der unsere bunte Truppe zusammengeführt hatte; und das aus einem anderen Grund als dem, einfach nur aus der Stadt zu fliehen. Lag der Gedanke nicht näher, dass jeder von uns eine vorbestimmte Rolle bei der Vernichtung der Marsmenschen spielen sollte? Ja, das war viel logischer, dachte ich und ließ meinen Blick auf jedem Einzelnen von uns ruhen, versuchte zu erraten, welches seine zukünftige Aufgabe sein konnte. Über den Beitrag Hauptmann Shackletons, der wachsam und unbeeindruckt vom Gestank an der Spitze ging, brauchte ich mir keine Gedanken zu machen, denn was immer er tat, es würde das Entscheidende sein. Hinter dem Hauptmann ging das Ehepaar Wells, dem man die Erleichterung ansah, endlich wieder vereint zu sein, zugleich aber auch die Niedergeschlagenheit ob der unaufhaltsamen Invasion. Wenn es darum ging, die Marsmenschen aufzuhalten, schien mir die Gegenwart des einzigen Schriftstellers, der eine Invasion Außerirdischer in einem Roman beschrieben hatte, obligatorisch; und ich muss auch gestehen, dass ich trotz unserer Meinungsverschiedenheit sehr dankbar und sehr beruhigt war, dass er zu unserer zusammengewürfelten Gruppe gehörte, denn wenn ich ihm auch keine körperlichen Heldentaten zutraute, so war er doch der intelligenteste Mensch, den ich je kennengelernt hatte. Hinter dem Ehepaar Wells ging – sich ein besticktes Tüchlein vors Gesicht haltend – die junge amerikanische Dame, deren Anwesenheit in unserer Gruppe mir ein absolutes Rätsel war; es sei denn, sie wäre nur da, um den unbändigen Gilliam Murray zu bändigen. Den Unternehmer, der der Herr der Zeit genannt wurde, weil er das Wunder vollbracht hatte, uns das Jahr 2000 sehen zu lassen, hatte ich bis vor einigen Minuten noch für tot gehalten, weil die Zeitungen dies vor zwei Jahren berichtet hatten. Aber offenbar besaß Murray nicht nur die Schlüssel zur vierten Dimension, sondern auch zum Jenseits, aus dem er jetzt zurückgekommen war. Ich fragte mich, was seine Aufgabe in unserer Gruppe sein sollte, falls er überhaupt eine hatte, außer auf diese Miss Harlow aufzupassen und Shackleton lächerlich zu machen. Hinter ihm ging der dienstbeflissene Harold, der sich wahrscheinlich fragte, warum ich ihn dazu gebracht hatte, den sicheren Keller in Queen’s Gate zu verlassen, nur um ein paar Stunden später dahin zurückzukehren und auf beiden Wegen sein Leben aufs Spiel zu setzen. Auf ihn würden wir meines Erachtens als Erstes verzichten können. Seine Aufgabe hatte möglicherweise nur darin bestanden, Shackleton und mich nach Primrose Hill zu fahren. Dann war da noch der Scotland-Yard-Agent Clayton, der selbstsicher und mit hochnäsiger Miene neben mir ging und dessen Anwesenheit in unserer Gruppe jedem Leser sofort einleuchten dürfte. Aber es gab noch jemanden: mich. Was war meine Aufgabe, falls wir tatsächlich dazu bestimmt sein sollten, die Invasion aufzuhalten? Vielleicht, dachte ich mit gelindem Schrecken, hatte meine Aufgabe nur darin bestanden, Shackleton mit den anderen zusammenzubringen. Ja, möglicherweise hatte ich, ohne es zu wissen, meinen Beitrag bereits geleistet und stand – genau wie Harold – dem Tod jetzt zur Verfügung.
    Eine Weile ging ich so in meinen Gedanken versunken, als Missis Wells plötzlich über ihr langes Kleid stolperte, hinstürzte und dabei den Schriftsteller beinahe mit zu Boden gerissen hätte. Murray und Emma sprangen hinzu und halfen ihr wieder auf die Beine, während ich mir im Stillen vornahm, sobald wir in Queen’s Gate wären, den Damen zu empfehlen, dem Beispiel der jungen Amerikanerin zu folgen und sich für die Flucht durch die Kanalisation etwas Praktischeres als lange Kleider anzuziehen. Glücklicherweise hatte sich Jane bei dem Sturz nur den linken Knöchel verstaucht.
    Wir waren schon eine Weile gegangen, und obwohl Shackleton – zweifellos voller Ungeduld, in Claires Arme zurückzukehren – darauf drang, weiterzugehen, überstimmten wir ihn und machten eine kurze Pause, damit Missis Wells sich etwas ausruhen konnte. Bei der

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