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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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einen eigenen Friedhof für uns angelegt. Um uns aber in einen Menschen zu verwandeln, benötigen wir nur einen Tropfen Blut. Einen einzigen nur. Nachdem wir den bekommen haben, entledigen wir uns des Spenders. Darin sind wir sehr gewissenhaft. Wir wollen uns ja nicht dadurch verraten, dass mit einem Mal überall Zwillinge herumlaufen.»
    «Heiliger Himmel …», murmelte Emma. «Und die Kinder, sind die auch …?»
    «Selbstverständlich, Miss», erwiderte der Gesandte höflich. «Das ist für uns zwar nicht die optimale Lösung, weil ein Kinderkörper eine Reihe von Nachteilen hat; aber manchmal haben wir keine andere Wahl und müssen auf die Duplikation von Kindern zurückgreifen. Die ursprünglichen Kinder sind natürlich alle tot. Ihre Eltern haben aber nie etwas gemerkt und müssen nicht den Tod ihrer Kinder beweinen. Sie stellen nur fest, dass sie plötzlich intelligenter werden, beziehungsweise schwerer zu beaufsichtigen sind …» Der Gesandte ließ das wohlvertraute Lachen des Schriftstellers hören, jedoch in einer ungleich unheimlicheren Version. «Mister Wells indes hat mir sein Blut freiwillig gespendet und ohne dass ich ihm hinterher das Leben nehmen konnte. Deshalb stehen hier und heute zwei Herbert George Wells an diesem ihm eigentlich unzumutbaren Ort.»
    «Er hat Ihnen sein Blut gegeben?», fragte Murray, da dem Schriftsteller immer noch die Worte fehlten. «Wie zum Teufel hat er das gemacht?»
    «Dafür gibt es dieses Wort, das nur die Menschen kennen: Zufall», erwiderte der Gesandte mit einem geringschätzigen Seitenblick zu Murray. Sich wieder an den Schriftsteller wendend, fuhr er fort: «Aber wie gesagt, Zufall ist ein Begriff, den es im Rest des Universums nicht gibt. Also könnten wir, von einer höheren Warte aus gesehen, sagen, dass Sie mir Ihr Blut gespendet haben, Mister Wells, weil Sie es mir spenden
sollten
. Weil es gewissermaßen
geschrieben stand
, um einen Ihnen geläufigeren Begriff zu verwenden.»
    Wells war mittlerweile aus seiner Erstarrung erwacht.
    «Hören Sie mit Ihrem philosophischen Geschwafel auf und sagen Sie mir, wie es passiert ist», knurrte er.
    «Das wissen Sie nicht?» Sein Doppelgänger schüttelte seufzend den Kopf. «Natürlich nicht. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn ich Ihnen sage, dass ich schon vor siebzig Jahren auf die Erde gekommen bin, obwohl ich die letzten achtzehn davon in einem unbequemen Sarg im Naturgeschichtlichen Museum verbracht habe.»
    Die Worte verblüfften Wells, aber nicht Clayton.
    «Ich wusste es! Sie waren gar nicht tot!», rief der Agent und trat einen Schritt vor, sodass er jetzt vor dem Gesandten stand. «Unsere Wissenschaftler haben sich geirrt. Aber wie haben Sie das gemacht, dass Sie aufgewacht sind?»
    Der Gesandte hob eine Augenbraue ob des Vorpreschens des Agenten, setzte dann jedoch wieder sein höfliches Lächeln auf.
    «Das wollte ich Ihnen gerade erzählen», sagte er, während Clayton seine Eisenhand hinter dem Rücken verbarg. «Wie unser kluger Agent ganz richtig erkannt hat, war ich entgegen allem Anschein nicht tot. Ich befand mich in einem Stadium ähnlich dem, das Sie als Winterschlaf bezeichnen. Man hatte mich in einem Eisblock eingeschlossen aus der Antarktis, wo ich mit meinem Raumschiff abgestürzt bin, hergebracht. Man hielt mich für tot; aber ich brauchte bloß ein bisschen Blut, um wieder zum Leben zu erwachen. Und Mister Wells war so freundlich, es mir zu geben. Rein zufällig natürlich. Vielleicht hatte er eine geringfügige Verletzung an der Hand und hat mich berührt … jedenfalls hat es gereicht. Und ich konnte die Invasion anführen, die, wenn ich nicht verunglückt wäre, schon viele Jahre früher begonnen hätte.» Er betrachtete den Schriftsteller mit spöttischem Mitleid. «Ja, Mister Wells, Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich meine Mission beenden konnte, deretwegen ich auf die Erde gekommen bin. Aber ich bin nicht der Einzige, der Ihnen dafür dankbar sein muss. Mein ganzes Volk dankt es Ihnen; vor allem meine Brüder, die seit Jahrhunderten unter Ihnen leben. Seit dem 16 . Jahrhundert, um genau zu sein. Da kamen die ersten Freiwilligen, um die Erde als zukünftigen Zufluchtsort für unser Volk zu erkunden. Eine undankbare Mission, denn meine Brüder starben und sterben hier, weil uns die Atmosphäre nicht bekommt. Sie enthält zu viel Sauerstoff. Deshalb haben wir die Erde nie als mögliche Heimat in Betracht gezogen. Mittlerweile gibt es aber keine optimalen Planeten mehr im

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