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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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durchbohrt von den Pfeilen gemächlich dahinziehender Kometen. Ich beobachtete Emma, die den irisierenden Schmetterling eines kosmischen Nebels auf ihrer Handfläche balancierte; Jane mit einem glitzernden Sternenhaufen im Haar; Murray, die Jacke voller Sternschnuppen. Wie ein Kind bewegte Wells seine Hand in die andere Richtung, und die Karte des Universums schrumpfte, zog sich zusammen wie eine erschrockene Auster, bis sie in einer Größe verharrte, die uns gestattete, den Kosmos in all seinem Glanz und Reichtum zu bestaunen. Ich entdeckte unser Sonnensystem mit den farbigen, um die Sonne kreisenden Planeten; klein wie Staubkörnchen, die in einem Lichtstrahl tanzten. Und in dem drittnächsten Staubkörnchen zur Sonne befanden wir uns, in irgendeinem vergessenen Winkel des Universums, hielten uns für die Herren von etwas, dessen Ausdehnung unsere Vorstellungskraft weit überstieg. Ich muss gestehen, dass ich mir in diesem Augenblick wie ein unscheinbares Insekt vorkam, als ich die ganze Weite des Himmels vor mir sah, den riesigen Garten, der sich vor meinem Fenster erstreckte. Doch dann, nach einer weiteren Berührung von Wells, der seine Hände anscheinend nicht stillhalten konnte, wurde in dem gasigen Gebilde eine rötliche Linie sichtbar, ein roter Faden, der einen Planeten nach dem anderen aufreihte, von denen jeder errötete und vor unseren Augen zerbröckelte, sobald der Faden sich dem nächsten Planeten näherte. Es fiel uns nicht schwer, zu erkennen, dass die dünne rote Linie den Exodus bezeichnete, der jene Rasse, die im Begriff stand, die Erde zu überrennen, durch Raum und Zeit geführt hatte, sie auf ihrer endlosen Wanderschaft Planeten erobern und vernichten und dann weiterziehen ließ. Einen kosmischen Exodus, so erkannten wir mit Entsetzen, der auf einem kleinen, bläulich schimmernden Planeten des Sonnensystems sein Ende fand.
    An dieser Stelle sollte ich unterbrechen und dem Leser erklären, dass wir bei diesem Anblick erst begriffen, dass die Invasoren nicht vom Mars kamen, da sie einen so langen Weg durch die ewige Nacht des Weltalls zurückgelegt hatten, dass sie von einem unvorstellbar weiter entfernten Ort kommen mussten. Trotzdem nennen wir sie weiterhin Marsmenschen, selbst heute noch, aus Gewohnheit vielleicht oder weil wir in einem letzten kindischen Akt des Widerstands den Eroberern der Erde nicht die Größe zugestehen wollen, die ihnen gebührt, möglicherweise aber auch einfach nur deshalb, weil wir uns das mit ihnen verbundene Grauen nur vorstellen können, wenn wir ihnen naheliegende Namen geben. Wie dem auch sei; das Wort Marsmensch steht heute für alles, was wir fürchten und hassen, und darum habe ich in meinem Tagebuch dieses Wort von Anfang an benutzt.
    Kehren wir nun in das Arbeitszimmer zurück, in dessen Mitte das pochende Universum stand. Beim Anblick des roten Fadens, der die Erde erreichte und sie blutig färbte, überkam mich ein Gefühl von Furcht und Wehmut. Wenn ich ganz ehrlich bin, war es eher eine Art Demütigung, die mir das Herz zerriss; etwas, das ich als kosmische Verniemandung bezeichnen möchte. Wir bevölkerten unseren unbedeutenden Planeten und hatten nichts Wichtigeres zu tun, als Kriege zu führen und stolz auf unsere Fortschritte zu verweisen, hatten aber keine Ahnung von der Großartigkeit des Universums und den Konflikten, die es erschütterten.
    «Das ist die wahre Landkarte des Himmels», sagte Emma in diesem Moment. «Ich glaube, mein Urgroßvater wäre sehr enttäuscht gewesen …»
    «Kein Mensch hätte sich so etwas vorstellen können, Emma», versuchte Murray sie zu trösten. «Ausgenommen Mister Wells natürlich.»
    Er wandte sich mit einem belustigten Lächeln an den Schriftsteller.
    «Allein Sie, George, konnten so ein Universum ersinnen», sagte er mit leisem Spott. «Erinnern Sie sich an unsere Diskussion vor zwei Jahren, als ich Sie bat, mir bei der Publikation meines Buches zu helfen? Sie sagten mir, die Zukunft, wie ich sie beschrieben hätte, könne niemals Wirklichkeit werden, weil sie nicht wahrscheinlich sei. Ihre Worte haben mich damals sehr getroffen, weil es mein größter Wunsch war, mir die Wirklichkeit um Jahre im Voraus vorstellen zu können. Ja, ich wollte ein Visionär sein. Wie Sie es für mich waren, George. Jetzt jedoch muss ich sagen, dass ich Sie um Ihre Gabe nicht beneide …»
    «Ich gäbe sonst was dafür, mich damals geirrt zu haben, Gilliam», antwortete Wells kühl.
    «Und ich gäbe sonst was dafür, Ihnen

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