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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Universum, und so müssen wir uns mit dem zufriedengeben, was wir vorfinden. Mit einigen atmosphärischen Veränderungen kann uns die Erde für einige Generationen als Zuflucht dienen. Darin besteht meine Aufgabe: die Erde für die Ankunft unseres Volkes herzurichten. Ohne Ihre selbstlose Geste, Mister Wells, wäre ich mit Sicherheit zu spät aufgewacht, denn meine Brüder hätten höchstens noch ein oder zwei Generationen überleben können. Da sehen Sie’s. Die Erde wäre Ihnen erhalten geblieben; zumindest so lange, bis Sie sie selbst zerstört hätten.»
    Die Worte des Gesandten ließen Wells beinahe physisch zusammenbrechen. Er war bleich geworden, begann plötzlich zu zittern und schien sich zusammenzukrümmen. Jane legte ihre Arme um ihn, während wir ihn mehr erstaunt als vorwurfsvoll anstarrten.
    «Nun grämen Sie sich nicht, Mister Wells», hörte ich den Gesandten sagen und sah, wie Clayton sich anschickte, den Zeigefinger von seiner Eisenhand abzuschrauben. «Sie trifft keine Schuld, zumindest nicht im menschlichen Sinne des Wortes. Es liegt nur daran, dass die Menschen zwar eine niedere Rasse sind, doch einige Geister unter ihnen aus der Masse herausragen, wie in Ihrem Fall, Mister Wells. Um es in Worte zu fassen, die Sie alle verstehen können: Ihr Geist ist in der Lage, mit dem Universum zu kommunizieren, sich mit etwas kurzzuschließen, das man als höheres Bewusstsein bezeichnen könnte, dessen Wesen Ihrem Verständnis natürlich verborgen bleibt. Für Ihre Artgenossen ist das, bis auf einige wenige Ausnahmen, vollkommen unmöglich. Sie selbst wissen natürlich auch nicht, wie Sie das machen.» Er betrachtete ihn mit wohlwollendem Lächeln. «Ich weiß, dass Sie sich oft fragen, warum Ihnen immer wieder bestimmte Dinge zustoßen oder ihretwegen passieren. Aber, Mister Wells; die Dinge stoßen Ihnen nicht zu, und sie passieren auch nicht ihretwegen. Damit Sie mich richtig verstehen …
Die Dinge passieren durch
Sie

    «Und was bedeutet das?», rief Murray, der Claytons Vorbereitungen offenbar mitbekommen hatte. «Wollen Sie vielleicht andeuten, dass alle hier, die nicht wie H. G. Wells aussehen, niedere Lebewesen sind? Meinen Sie, Ihr Geschwafel wäre zu hoch für uns? Ich glaube, wir verstehen Sie ganz genau.»
    «So, glauben Sie.» Sichtlich ungehalten über seinen Einwurf, bedachte ihn der falsche Wells mit einem verächtlichen Lächeln. «Wenn Sie etwas verstehen, dann deswegen, weil ich mich zu Ihnen herablasse und simple, Ihnen verständliche Grundbegriffe verwende. Das ist, als würde ich im Schlaf mit Ihnen reden, oder betrunken, wenn Sie wollen.»
    «Und was verschafft mir die Ehre, dass Sie mit mir sprechen wollen, obwohl ich nicht betrunken bin?», fragte Wells in einem etwas lächerlichen Versuch, unverschämt zu klingen.
    Ich versuchte, mit einem Seitenblick festzustellen, wie weit Clayton mit seinen Vorbereitungen gekommen war, und was ich sah, ließ mein Herz schier in der Brust zerspringen. Der Agent hatte seinen falschen Zeigefinger abgedreht und sich mit winzigen Mäuseschrittchen etwas näher an den Gesandten herangeschoben. Ich konnte kaum noch an mich halten. «Los, Clayton, mach schon!», hätte ich ihm am liebsten zugerufen.
    «Die Neugier», hörte ich den Gesandten sagen, während Clayton langsam seine künstliche Hand hob. «Ihr Gehirn ist so anders als das meiner früheren Körpergastgeber; und damit meine ich nicht nur, dass Sie intelligenter oder phantasievoller sind als andere Menschen. Ich will damit sagen, Ihr Gehirn besitzt … Wie soll ich es beschreiben? Einen einzigartigen Mechanismus. Und ich will herausfinden, wozu er dient. Wenngleich ich Ihrem Gesichtsausdruck entnehme, dass Sie es selbst nicht wissen.»
    Als Clayton diese Worte vernahm, hielt er in seiner Bewegung inne und warf Wells einen bedeutungsvollen Blick zu, den ich mir nicht erklären konnte. Eine mir endlos vorkommende Zeit erwiderte Wells diesen Blick und wandte sich dann erneut an den Gesandten.
    «Warum interessiert Sie das so sehr?», sagte er. «Ich wäre doch nicht hier, wenn es Sie nicht ängstigen würde, was ich damit anstellen kann.»
    Der Gesandte machte ein überraschtes Gesicht, das er jedoch rasch mit einem bewundernden Lächeln übertünchte.
    «Sie sind ein ungewöhnlich intelligenter Mensch, Mister Wells. Und Sie haben natürlich recht. Wir unterhalten uns hier nicht, weil ich neugierig auf Sie war. Ganz gewiss nicht. Wir sind hier, weil ich … Angst habe.»
    Wir alle

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